300 Jahre Neugier
Eine interdisziplinäre Tagung zu Perspektiven der Wunderkammerforschung – begleitend zur gleichnamigen Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen
Eine interdisziplinäre Tagung zu Perspektiven der Wunderkammerforschung – begleitend zur gleichnamigen Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen
Seit ihrer Rekonstruktion und Wiedereröffnung 1995 ist in vielen unterschiedlichen akademischen Kontexten Wissen zu den Objekten und Konzepten der halleschen Wunderkammer erarbeitet und publiziert worden. Gleichwohl, so die paradoxe Einsicht, hat es bislang keine Tagung gegeben, die sich thematisch übergreifend und systematisch der Kammer zuwendet, vorhandenes Wissen darstellt, neue Einsichten und Thesen formuliert und damit nach der Zukunft der Kammer fragt. Denn die Sammlung hält nach wie vor eine Vielzahl von ungelösten Fragen und Zusammenhängen bereit – und sie zeigt sich immer wieder auf verblüffende Weise fähig, gegenwärtige Fragen anhand ihrer Objekte und Präsentationen diskutieren zu können. Begleitend zur Jahresausstellung treffen sich nun erstmals Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen, um gemeinsam Perspektiven für die weitere Erforschung zu entwerfen.
10.30 Uhr
Begrüßungskaffee im Historischen Waisenhaus
11.00 Uhr
Grußworte undEröffnung
Mit der Eröffnung der rekonstruierten Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen 1995 wurde erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg eine historische Kunstkammer in Deutschland der Öffentlichkeit wieder dauerhaft zugänglich gemacht. Als seltenes Beispiel einer erhaltenen Sammlungseinheit aus Objekten, Mobiliar, Raumstruktur und Ordnungskonzept steht sie heute exemplarisch für eine museale Auseinandersetzung mit dem frühneuzeitlichen Sammlungstyp. Der Beitrag verortet Halle im Kontext musealer Wiederbelebungskonzepte seit dem 20. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum. Welche Rolle spielten Kunstkammern bis 1995, welche heute? Und welche Bedeutung kommt Halle dabei zu? Welche kuratorischen Herangehensweisen sind zu beobachten? Und welches Potenzial bieten digitale Methoden bei der wissenschaftlichen Erschließung, Vermittlung und Präsentation verborgener Zeitschichten, Zustände und Erzählungen?
Im Zentrum des Vortrags steht die Sammlung des Mediziners Friedrich Hoffmann d. J. (1660–1742), deren genealogische Wurzeln bis zur enzyklopädischen Kunst- und Wunderkammer seines Großonkels Laurentius Hoffmann d. J. (1582–1630) reichen. Die universale Lehrsammlung und Bibliothek Friedrich Hoffmanns, der als einer der Gründungsprofessoren der Fridericiana mit August Hermann Francke befreundet war, wurde für Francke und dessen Nachfolger bis 1742 zu einem Impulsgeber für die Entwicklung und Ordnung der Kunst- und Naturalienkammer im Waisenhaus. Es wird gezeigt, dass Franckes Gründung stärker auf regionalen Vorläufern und Netzwerken basierte als es schriftliche Rückverweise bislang vermuten lassen. Das Paper erweitert somit die Forschung zur urbanen Sammlungsvielfalt und beleuchtet die enge Verflechtung zwischen universaler und pädagogischer Sammlungskultur seit dem frühen 17. Jahrhundert in Halle, die zugleich aktuelle europäische und globale Entwicklungen aufnahm.
12.30 Uhr Mittagspause
13.30 Uhr
Für die Zeit August Hermann Franckes lassen sich nur wenige Belege für Kontakte von Frauen zur Kunst- und Wunderkammer des Waisenhauses finden, etwa in Briefwechseln Franckes mit Mäzeninnen des Waisenhauses. Auf den ersten Blick scheint dieser Befund eine auch anderweitig angenommene geringe Teilhabe von Frauen am frühneuzeitlichen Sammlungswesen zu spiegeln. Fragt man nach den Beziehungen von Frauen zu Kunstkammern, so zeigt sich, dass für die Zeit von der Mitte des 16. bis zur Mitte 18. Jahrhunderts der Anteil von Frauen am frühneuzeitlichen Sammlungswesen in verschiedenen Ansätzen im Bereich der Hofforschung behandelt wurde. Dabei konnte die Rolle der Fürstin als Wissensvermittlerin am Hof und über diesen hinaus erforscht und eine geschlechterspezifische Dynamik bei der Entstehung und Ausbreitung von Wissen beobachtet werden. Ansätze der Genderforschung können hier den Blick weiter schärfen. Wie für andere Bereiche kulturellen Lebens kann das Sammlungswesen als komplexes Handlungsfeld beleuchtet und die Handlungsspektren von Männern und Frauen als komplementär begriffen werden. Im geplanten Tagungsbeitrag sollen in einem allgemeinen Teil zunächst Quellen vorgestellt werden, die Bezüge von Frauen zu Kunstkammern, ihre Funktionen in Sammlungskontexten und Wissensvermittlung, erfassen. Dazu werden sowohl museumstheoretische Schriften als auch Briefe, Reisebeschreibungen, Inventare und Besucherbücher angesprochen. In einem zweiten Schritt sollen Zeugnisse weiblicher Kontakte zur Kunst- und Wunderkammer des Waisenhauses in Halle für die Zeit August Hermann Franckes und Gotthilf August Franckes erfasst und Aspekte der Teilhabe von Frauen an der Halleschen Wunderkammer verdeutlicht werden.
Die Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen ist untrennbar mit dem Namen Gottfried August Gründler (1710–1775) verbunden. Seine geniale Umsetzung neuerster Entwicklungen im Sammlungswesen und der Naturkunde, z.B. durch die weltweit erste Anwendung der revolutionären Systematik Carl von Linnés (1707–1778), stellen diese Sammlung ins Zentrum der Wissensgeschichte. Fast unbekannt ist jedoch Gründlers Vernetzung in der Universitätsstadt und noch immer hält sich die Vermutung einer konflikthaften Trennung von den Franckeschen Stiftungen. Auf der Grundlage der Patenschaften seiner Töchter und des Werkskorpus Gründlers untersucht dieser Vortrag seine Einbettung in die Hallesche Professorenschaft und seine anhaltenden Verbindungen mit den Franckeschen Stiftungen. Damit wird zugleich versucht, die Frage seiner Beschäftigungsdauer und Nachfolger in den Stiftungen zu beantworten sowie seine Beteiligung an den Entwicklungen der Numismatik und der Geburtsmedizin an der Friedrichsuniversität herausgestellt.
14.30 Uhr Kaffee
15.00 Uhr
Frühneuzeitliche Sammlungskataloge waren weit mehr als bloße Verzeichnisse. Sie waren Werkzeuge, die die Art und Weise, wie Wissen organisiert, geteilt und weiterentwickelt wurde, aktiv prägten. Dieser Beitrag lenkt den Blick weg von den bekannten räumlichen und taxonomischen Ordnungsprinzipien hin zu den Praktiken, die in der Herstellung, Nutzung und medialen Gestaltung dieser Kataloge sichtbar werden. Am Beispiel der Wunderkammer der Franckeschen Stiftungen und im Vergleich mit anderen Sammlungen wird untersucht, wie Kataloge als Distanzmedien fungierten und in umfassendere Kommunikations- und Wissensnetzwerke eingebunden waren. Hierbei rückt sowohl ihre intermediale Beschaffenheit in den Fokus als auch ihre Rolle als aktive Elemente frühneuzeitlicher Wissensproduktion. Kataloge erweisen sich dabei nicht nur als passive Spiegel, die Sammlungen dokumentierten, sondern als dynamische Kräfte, die maßgeblich an deren Gestaltung und Weiterentwicklung mitwirkten.
Der Beitrag stellt die Sammlungsschränke der KNK als Wissensbehältnisse in den Mittelpunkt. Ausgehend von der Konstruktion und Gestaltung zum Herstellungszeitraum der Schränke sowie anhand der überlieferten Schrankverzeichnisse werden die komplexen Beziehungen der Möbel zur Sammlungspraxis der Mitte des 18. Jahrhunderts exemplarisch untersucht. Von diesem Punkt aus wird die Objektgeschichte der Schränke bis in die Gegenwart skizziert. Die Schränke wurden als wichtige Elemente der Kunst- und Wunderkammer bis heute überliefert – jedoch sind sie nicht gänzlich unverändert geblieben, sondern wurden im Laufe der Zeit mehrfach überformt. Dies zeigen erhaltene ältere Restaurierungsberichte und eine aktuelle kunsttechnologische Begutachtung der Möbel. Welche Änderungen lassen sich an den Schränken konkret ablesen und wie »authentisch« ist die heutige Ausstellung der Kunstkammermöbel demzufolge? Und lässt sich die sich stetig verändernde Sammlungs- und Wissensgeschichte anhand der Schränke noch heute vermitteln?
16.00 Uhr Erfrischung
16.30 Uhr
Der Altenburger Kunstmaler und spätere Hofmaler von Christian Ernst von Sachsen-Coburg-Saalfeld (1683–1745), Gottfried August Gründler (1710–1775), ordnete zwischen 1736 und 1741 die Objekte der Kunst- und Naturalienkammer des Halleschen Waisenhauses. Es entstand ein frühmoderner Schauraum mit eigens von ihm angefertigten Mobiliar, das bis heute erhalten ist. Die aufwändigen Bekrönungsmalereien ausgewählter Sammlungsschränke stehen im Mittelpunkt des Vortrags. Die aktuelle Forschung betrachtet den Raum gleichzeitig als barocke Lehrsammlung, einen Ort zur Ehre Gottes sowie des Marketings des Halleschen Pietismus. Ausgehend davon stellt sich die Frage nach der Bildmotivik der Malereien neu. Die christliche Ikonografie ließ Bilder in Kirchen zu effektiven Medien der Verkündigung werden: Allegorien, Symbole und Typologien vermittelten zentrale Glaubensinhalte. Lassen sich Gründlers kunstvolle Malereien ähnlich als Medium der christlichen Theologie verstehen?
Die gemalten Dekorationen der Sammlungsschränke tragen in ihrer programmatischen Gestaltung und ästhetischen Qualität nicht unwesentlich zum Ruhm der Halleschen Kunst- und Naturalienkammer bei. Der Forschung war und ist es ein Anliegen, ihren Sinngehalt in der klassischen Stufenfolge von vor-ikonografischer, ikonografischer und ikonologischer Analyse zu deuten. Dem steht jedoch der Befund entgegen, dass sich zeitgenössische Besuchsberichte hier wie auch in anderen Kunstkammern über solche Dekorationen nur lapidar äußern oder sogar ausschweigen. Die Bildkonzeptionen verraten viel über die Intentionen ihrer Schöpfer – aber wie relevant war dieses Informations- und Orientierungsangebot für Besucher und Besucherinnen? Der Beitrag spürt der Diskrepanz zwischen der produktionsästhetischen Dimension solcher Dekorationen und ihrer Vernachlässigung in Rezeptions- und Benutzungsszenarien nach. Er blickt dabei auf die zeitgenössischen Konzeptionen von Dekor im sozialhistorischen Sinne des Decorums und versteht sich als Plädoyer für eine weitere praxeologische Feinjustierung der Kunstkammerforschung.
18.00 Uhr
Führung durch die Jahresausstellung »300 Jahre Neugier«
Tom Gärtig, Philipp Wille, Holger Zaunstöck zus. mit Diana Stört und Thomas Ruhland
anschließend Empfang im Historischen Waisenhaus
9.30 Uhr
Human remains, also menschliche Überreste, sind seit der Begründung der Wunderkammer der Franckeschen Stiftungen im Jahr 1698 nachweisbar, die spätestens nach der Neugestaltung 1736 durch Gottfried August Gründler als Teil des »Thierreiches« in der Ordnung der Systema naturae Carl von Linnés präsentiert wurden. Theoretische Schriften wie die »Geöffnete Raritäten- und Naturalienkammer« (1704) von Leonhard Christoph Sturm belegen, dass menschliche Überreste und ganze Körper fester Bestandteil des vormodernen Sammlungstyps Wunderkammer waren. Die Human remains der Hallenser Wunderkammer und mit ihr vergleichbare Konvolute in der Kunstkamera St. Petersburg oder im Naturalienkabinett Waldenburg stellen die Forschung mittlerweile jedoch vor neue Herausforderungen, da ältere Ansätze aus der Medizin- und Wissenschaftsgeschichte durch neue Impulse aus der Provenienzforschung und der internationalen ethischen Debatte erweitert wurden. Auch wenn Forschungen zu den Human remains in den noch bestehenden Wunderkammern insgesamt als Desiderate gelten müssen: Die bislang gefundenen, teilweise ethisch bedenklichen Kontexte, aber auch Personenmerkmale wie Familienverhältnisse oder sogar Namen gestorbener Menschen begründen die Aktualität des Themas und das Anliegen, Human remains in Wunderkammern neu zu bewerten.
Ein Rätsel der ›Kunst- und Naturalienkammer‹ der Franckeschen Stiftungen ist das Fehlen jeglicher zoologischer sowie botanischer Sammlungen der ›Tranquebarmission‹ um 1800. Dabei ist längst bekannt, dass die Mission mit Christoph Samuel John, Johann Peter Rottler und Johann Gottfried Klein die Blütezeit ihrer naturhistorischer Forschung und Sammlungstätigkeit erreichte. Anderswo lassen sich indes zoologische Objekte der Mission nachweisen, etwa in Jean Hermanns ›Naturalienkabinett‹ in Straßburg. Das 1988 rekonstruierte Kabinett von Hermann beherbergt einige solcher zoologischer Objekte – darunter Vögel, Schlangen und Säugetiere – und wird zusätzlich durch zahlreiche überlieferte Dokumente ergänzt. Die Rekonstruktion dieser zoologischen Sammlung, ihrer Akteure und Netzwerke könnte helfen, weitere zoologische Objekte aus ›Tranquebar‹ sowie ganze verloren geglaubte Sammlungen zu identifizieren – darunter etwa die der ›Kunst- und Naturalienkammer‹.
10.30 Uhr Kaffee
11.00 Uhr
Das grönländische Kayak aus Robbenfell gehört zu den eindrucksvollsten Objekten in der Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen. Es erreichte Halle vermutlich um die Mitte des 18. Jahrhunderts über einen Umweg aus Königsberg. Der Tagungsbeitrag wird zeigen, dass das Kayak nicht nur den Status einer Kuriosität aus einer fernen Region der Erde innehatte, sondern auch wichtige Aspekte der Missionierung der Grönländer im 18. Jahrhundert durch dänische und herrnhutische Geistliche repräsentierte. So stand es stellvertretend für eine komplexe Schöpfung, symbolisierte die Lebensgrundlage der einheimischen Bevölkerung, die im Seehund- und Fischfang bestand, und verband die Aktivitäten und Ziele des Waisenhauses mit den Unterstützungsleistungen der Missionare für elternlose grönländische Kinder. Der Beitrag diskutiert diesen Facettenreichtum und schöpft dabei aus wissens- und sozialhistorischen Herangehensweisen.
Während Kunst- und Naturalienkammern ihre Blütezeit zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert erfuhren, erlebten missionsgeschichtliche Sammlungen insbesondere im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine Phase intensiver Entfaltung. Beide Sammeltypen zeichneten sich durch die Inkorporation kulturell und geografisch »fremder« Objekte aus, unterschieden sich jedoch partiell funktional: Wunderkammern spiegelten den Makrokosmos im Mikrokosmos, missionsgeschichtliche Sammlungen legitimierten christliche Mission. Die Wunderkammer der Franckeschen Stiftungen, eingerichtet im Kontext der pädagogischen Reformen August Hermann Franckes, beinhaltet eine Vielzahl missionarischer Artefakte. Ein im 19. Jahrhundert hinzugefügtes Konvolut, basierend auf Missionsaktivitäten auf Borneo, markiert einen paradigmatischen Wandel von einem pietistisch-naturwissenschaftlichen Verständnis hin zu einer dokumentarisch geprägten Missionspraxis. Ein aktuelles Provenienzforschungsprojekt analysiert die Herkunft, Aneignungskontexte und Bedeutungszuschreibungen dieser Objekte. Der Vortrag analysiert, inwiefern dieses Konvolut als exemplarisch für missionsgeschichtliche Sammlungspraxis im 19. Jahrhundert gelten kann und welche Implikationen sich daraus für die Funktion und das Selbstverständnis der Wunderkammer in den Franckeschen Stiftungen ergeben.
12.00 Uhr Mittagspause
13.00 Uhr
In der Forschung zu frühneuzeitlichen Sammlungen haben Objekte der Frömmigkeit – christlicher und nicht-christlicher Provenienz – bislang eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Das gilt auch für die Sammlung der Franckeschen Stiftungen: während der »Indienschrank«, der »Schriftenschrank« oder der »Apothekertisch« als vergleichsweise gut erforscht gelten dürfen, ist der »Religionsschrank« weniger gut bekannt. Auch die Verknüpfung der Sammlungsgeschichte mit einer transkulturell ausgerichteten Religionsgeschichte ist bislang eher lose. Der Beitrag konturiert diese Schnittstelle und analysiert den »Religionsschrank« und die »res sacrae« der Kunst- und Naturalienkammer im Waisenhaus erstmals genauer. Dafür nimmt er ausgewählte Objekte der christlichen und nicht-christlichen Religionen in den Blick, fragt nach Provenienzen, Kontextwechseln und Bedeutungsverschiebungen im Zuge der Musealisierung und diskutiert die in der Forschung kontroverse Frage, ob die frühneuzeitlichen Kunst- und Naturalienkammern zu konfessionalisierten Räumen wurden.
In der Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen befinden sich einige Objekte, die aus dem Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches stammen, darunter ein »Türckisches Ehren=Kleid« und ein gezeichneter Plan der Jerusalemer Grabeskirche. Diese Exponate dokumentieren das Interesse und die Verbindungen des hallischen Pietismus zur osmanischen Welt, die bereits in den letzten Jahren des 17. Jahrhunderts, insbesondere unter dem Einfluss von Heinrich Wilhelm Ludolf, entstanden. Der Vortrag untersucht, nach welchen Auswahlkriterien osmanische Objekte in die Sammlung aufgenommen wurden und wie sie in das pädagogische sowie repräsentative Konzept der Sammlung integriert wurden. Dabei wird die Funktion dieser Objekte als Instrumente pietistischer Selbstrepräsentation und als Erinnerungen an Missionsarbeit im Kontext des hallischen Pietismus analysiert.
14.00 Uhr Kaffee
14.30 Uhr
In der Kunst- und Naturalienkammer in den Franckeschen Stiftungen zu Halle an der Saale liegen zwischen Steinen, Schuhen, Muscheln und anderen Kunst-, Natur- und Alltagsgegenständen zwei Dinge, die Anlass zur Irritation geben: ein Brot und ein Käselaib. Denn nicht ihre Alltäglichkeit oder Status als Naturgegenstand, sondern ihre überwundene Vergänglichkeit zeichnet sie als Sammlungsobjekte aus. Die Rarität solcher Objekte in der Sammlung zeigt auf eine Praxis, die versucht, vergängliche Objekte sammlungstechnisch darzustellen. Dabei wird eine große Frage aufgerissen: Was für einen Stellenwert hatte Verzehrbares im Allgemeinen (und Ess- und Trinkbares im Partikularen) in der Sammlungspraxis und in der Sammlungstaxonomie an den Franckeschen Stiftungen? Und weiter: Warum landeten diese wenigen Beispiele überhaupt in der Kunst- und Naturalienkammer? Dieser Beitrag wird sich mit dieser Frage auseinandersetzen und, anhand von Impulsen aus der »food history«, eine weitere Perspektive auf die »Wunderkammer« des Waisenhauses aufmachen. Dabei ist es notwendig, die Wunderkammersammlung mit anderen, von den Stiftungen benutzten Kanälen und Medien der Wissensspeicherung und -ausstellung zusammen zu denken, beispielsweise den Korrespondenzen oder Publikationen wie den Halleschen Berichten. Er geht der Frage nach, welche Ess- und Trinkpraktiken anderer Kulturen unter den Halleschen Pietisten als besonders interessant galten und fragt, unter welchen epistemologischen Bedingungen Wissen verdinglicht wurde und warum? Der Beitrag fragt außerdem, wie unser Blick auf die Wunderkammer und auf die Materialität im Pietismus sich ändert bzw. sich erweitert, wenn wir den Fokus auf vergängliche, und dadurch nur flüchtig oder nicht dinglich erfasste Gegenstände richten.
Seit der Wiedereröffnung der Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen 1995 erstrahlt unter anderem der Schrank mit »Sachen, so zur Kleidung gehören« in neuem Glanz. Dennoch blieben die vielschichtigen Bedeutungen der Artefakte bisher Großteils verborgen. Der Beitrag verortet das Ensemble der Kategorie »Kleidung« im internationalen Kontext frühneuzeitlicher Kunstkammern. Er betont den Stellenwert der Halleschen Sammlung bezüglich des einzigartigen Erhaltungszustands und der gleichwertigen Präsentation von europäischen und außereuropäischen Objekten. Inspiriert von Neickels Museographia (1727) stellte Gottfried August Gründler 1741 einen Schrank mit Kleidung, Accessoires und Textilien zusammen. Neben exotischen und kuriosen Dingen finden sich hier deutsche Trachtenpuppen oder italienische Schuhe, die den kulturellen Vergleich statt einer kategorischen Abgrenzung förderten. Die Inventare und Objekte offenbaren Verbindungen zu Bildung und Werbung als zentrale Funktionen der Sammlung sowie ein Interesse an globaler Politik und Verflechtungen, Geschlechterrollen und dem Zusammenspiel von Kunst und Natur in der göttlichen Schöpfung.
15.30 Perspektiven und Abschlussdiskussion
Tagungsleitung: Holger Zaunstöck (Stabsstelle Forschung)
Anmeldung und Kontakt über Laura Kuddes (Stabsstelle Forschung): kuddes(at)francke-halle.de. Bitte melden Sie sich zur Tagungsteilnahme verbindlich bis zum 13. November an.