300 Jahre Neugier. Verborgenes Wissen aus der Wunderkammer des Waisenhauses
- Die kulturhistorische Ausstellung zu einer der besterhaltenen frühneuzeitlichen Universalsammlungen in Europa lenkt in sieben Themenräumen den Blick auf Gestaltung und Funktion, die Ordnungssysteme, besondere Objekte und heutige Fragestellungen.
- 150 zum Teil seltene oder noch nie gezeigte Objekte werden im 30. Jahr nach der Wiedereröffnung vom Ausstellungsbüro FORMIKAT in den Ausstellungsräumen direkt unter der Kunst- und Naturalienkammer im Historischen Waisenhaus eindrucksvoll in Szene gesetzt.
- Weitere spannende Perspektiven ergänzt die Online-Ausstellung durch den Einsatz multimedialer Inhalte
SAVE THE DATE
- Eröffnung am 10. Mai 2025 um 16:00 Uhr mit einer Uraufführung inspiriert von der Wunderkammer und einer eigens erstellen immersiven Lichtinstallation
Jahresausstellung vom 11. MAI 2025 – 6. April 2026 | Di–So, 10–17 Uhr | Eintritt 8 euro, erm. 5 Euro, bis 18 Jahre frei
2025 jährt sich die Wiedereröffnung der Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen, einer der besterhaltenen Universalsammlungen aus der Frühen Neuzeit in Europa. Sie wurde vor 30 Jahren wiederentdeckt und im Dachgeschoss des Historischen Waisenhauses detailgetreu rekonstruiert. Mit ihren über 3.300 Exponaten und dem kunstvollen Mobiliar ist sie heute nach dem originalen Museumskonzept des 18. Jahrhunderts zu erleben. Ungebrochen faszinieren das scheinbar Spielerische der historischen Sammlungsordnung, das Nebeneinander von vermeintlich Gegensätzlichem, oder auch der erste enzyklopädische Anspruch.
Eine Etage darunter bietet ab dem 10. Mai 2025 die Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen »300 Jahre Neugier. Verborgenes Wissen aus der Wunderkammer« eine Art moderne Bedienungsanleitung für den Schauraum des Halleschen Pietismus. Die Kuratoren Tom Gärtig, Kustos des Historischen Waisenhauses, Philipp Wille, wissenschaftlicher Volontär und Prof. Dr. Holger Zaunstöck, Leiter der Stabsstelle Forschung der Franckeschen Stiftungen, haben die Schau mit einem Team von Expert:innen entwickelt. Sie laden zu einem Ausstellungsrundgang mit 150 zum Teil neu erforschten und noch nie gezeigten Exponaten, anschaulichen Multimediastationen, spielerischen Mitmachangeboten und aktuellen Diskursen des 21. Jahrhunderts zu ausgewählten Sammlungsteilen ein.
»Die Neugier, die beim Besuch einer Wunderkammer in der Frühen Neuzeit durch vielfältige Assoziationsketten und das komplexe Zusammenspiel von Raum, Mobiliar, Exponaten, Ordnungsmustern und Erzählungen ausgelöst wurde und auch entstehen sollte, funktioniert damals wie heute. Die Sammlung birgt ein enormes Potential, uns auch im 21. Jahrhundert zu faszinieren, anzuregen und aufzuklären.« Tom Gärtig, Philipp Wille und Prof. Dr. Holger Zaunstöck.
Der Rundgang startet in der Zeit um 1990 und erzählt die spannende Rekonstruktion und Zugänglichmachung der vor 30 Jahren fast vergessenen Kammer. Bereits im Treppenaufgang des Waisenhauses werden großformatige Fotos gezeigt, die den bedauernswerten, ja desaströsen Zustand der fast vergessenen Kammer kurz vor ihrer Rettung und Restaurierung eindrucksvoll dokumentieren. Von hier aus begeben sich die Besuchenden auf eine Zeitreise in das 18. Jahrhundert und erfahren im ersten Raum, wie die Wunderkammer 1741 aufgebaut war, wie sie im Detail »funktionierte« und vor welchen Herausforderungen der Altenburger Kurator, Künstler und Naturforscher Gottfried August Gründler (1710–1775) stand.
Im zweiten Raum wird der Blick auf die original erhaltenen Sammlungsmöbel, eine Rarität in der Museumsgeschichte, gelenkt. Insgesamt 16 Schränke wurden zwischen 1736 und 1741 speziell für die Ordnung der knapp 5.000 Objekte und ihre repräsentative Präsentation passgenau mit Schau- und Magazinteil gefertigt. Von Gründler kunstvoll gefertigte Bekrönungsmotive stellen dabei die jeweiligen Ordnungskriterien vor.
Mit einem multiperspektivischen Ansatz nähert sich der dritte Raum der Ausstellung den Objekten aus Indien. Ausgehend vom Bekrönungsmotiv des Ausstellungsschranks, das einen schwarzen Menschen zeigt, der ein Palmblatt beschreibt, gehen die Kuratoren in Zusammenarbeit mit Dr. Heike Liebau (Leibniz-Zentrum Moderner Orient, Berlin) und Prof. Dr. Daniel Jeyaraj (University of Liverpool, GB/ Chennai, Indien) erstmals der Darstellung indischer Menschen in dieser Sammlung nach.
Zu den genialen Ordnungssystemen der Wissenschaftsgeschichte zählt das Systema Naturae von Carl von Linné (1707–1778), das Gründler im Bereich der Naturaliensammlung hier in Halle weltweit erstmals in einem Museum anwendete. Der vierte Ausstellungsraum stellt die Naturaliensammlung hinsichtlich ihrer Ordnung, Benennung und Nutzung vor. Es erstaunt, wie mühelos die Halleschen Pietisten die Kunst- und Naturalienkammer als Instrument zur Ehre Gottes mit den neuesten Entwicklungen der Naturwissenschaften verbanden. An den Knochen eines Walfisches wird u.a. nachgewiesen, dass die wissenschaftliche Orientierung keine Eintagsfliege war, sondern dauerhaft Einfluss auf die Sammlung hatte.
Die Wunderkammer mit ihren original erhaltenen, aber auch verloren geglaubten Exponaten gibt bis heute Rätsel auf. Der fünfte Raum gewährt Einblicke in abenteuerliche Erkundungsgänge, in denen Dinge neu entdeckt werden oder an unvermuteter Stelle auftauchen, um für kurze Zeit den Weg zurück nach Halle zu finden. So auch eine der beiden metallenen Statuetten des römischen Götterboten Merkur, die dem Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) beim Besuch der Franckeschen Stiftungen 1802 ins Auge gefallen sein dürften. Wenige Monate später bat Goethe in einem Brief, ihm den »kleinen Merkurius« für seine Antikensammlung im Tausch gegen ein Buch für die Stiftungsbibliothek zu überlassen.
Ein besonderes Objekt der Museumsgeschichte ist die Anweisung für die Gästeführer, die »Herumführer« im 18. Jahrhundert. Die handschriftliche Quelle aus dem Jahr 1741 wird im Archiv der Franckeschen Stiftungen aufbewahrt und gehört zu den wenigen frühneuzeitlichen Dokumenten, das eine Kunst- und Naturalienkammer aus Sicht der Institution, nicht der Reisenden oder Besuchenden vorstellt. Im sechsten Raum begeben sich die Besuchenden auf eine kleine Zeitreise: In einem inszenierten, interaktiven Rundgang entdecken sie die Wunderkammer von 1741, inspiriert von dieser einzigartigen Quelle.
Im letzten Raum der Ausstellung werfen die Kuratoren einen Blick auf die Wunderkammerlandschaft im 21. Jahrhundert. Mit der 2020 gegründeten „Alliance of Early Universal Museums“ (AEUM), deren Gründungsmitglied die Franckeschen Stiftungen sind, wird eine aktuelle Entwicklung vorgestellt: Ein moderner Showroom präsentiert Sammlungen aus Deutschland, Österreich, Italien und den Niederlanden und zeigt, wie historische Wunderkammern heute bewahrt und weiterentwickelt werden.
Weitere spannende Perspektiven eröffnet die ergänzende Online-Ausstellung durch den Einsatz multimedialer Inhalte wie Audioaufnahmen, Videos und 3D-Modelle.
300 Jahre Neugier. Verborgenes Wissen aus der Wunderkammer des Waisenhauses
Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen
11. Mai 2025 – 6. April 2026
Di–So 10–17 Uhr
Eintritt 8 Euro, erm. 5 Euro, bis 18 Jahre Eintritt frei
Alle Informationen zum Besuch und Begleitprogramm auf www.francke-halle.de
AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG
Am Sonnabend, dem 10. Mai 2025, um 16:00 Uhr, nur wenige Stunden vor der Museumsnacht Halle/Leipzig, wird die Ausstellung feierlich eröffnet. Einem imaginären Musikschrank aus der Wunderkammer entlocken Ivo Nitschke (Percussionist der Staatskapelle Halle) und Andreas Voß (Cello, Gambe, Electro-Loops) in der Uraufführung einer eigenen Komposition Klangfarben, Rhythmen und Stimmen. Als Sneak Peek erleben die Gäste die immersive Lichtinstallation von Bernd E. Gengelbach, eine eigens für die Ausstellungseröffnung und die Museumsnacht entwickelte, professionelle Video-Mapping-Projektion. Sie entführt mitten in eine lebendig bewegte Wunderkammer des 18. Jahrhunderts mit handgezeichneten Objekten aus Natur und Kunst.