Historisches Waisenhaus

Haus 1

Die Fassade des Historischen Waisenhauses

An einer vielbefahrenen Handelsstraße südlich von Halle errichtete August Hermann Francke ab 1698 das Hallesche Waisenhaus. Das weithin sichtbare, dreistöckige Gebäude mit Sockelgeschoss, Freitreppe und geräumigem zweigeschossigem Mansarddach mit Tympanon adaptierte u. a die Architektursprache von Stadtpalais‘ und ist der Nukleus des Reformwerks Franckes. Die Grundstruktur der zukünftigen Schulstadt ist hier eingeschrieben: Ebenerdig lagen Druckerei, Labore und Lager, in der Empfangsetage öffneten Buchhandlung und Apotheke ihre Türen, in den oberen Geschossen waren die Wohn- und Unterrichtsräume der Schüler angeordnet. Hohe zweiflüglige Fenster leuchteten das Innere aus und schmückten die klar gegliederte Fassade. Das Mansarddach bot im Unterdach den Waisenknaben als Schlafsaal Platz, später wurde hier die Kunst- und Naturalienkammer, die berühmte »Wunderkammer« eingerichtet. Bereits im 18. Jahrhundert gab es öffentliche Führungen durch die Kammer. Besucher und Schüler bestaunten das hier ausgestellte Modell des salomonischen Tempels.

Historische Ansichten

kolorierter Kupferstich des Historischen Waisenhauses vor 1750

Das Waisenhaus in historischen Abbildungen

Kolorierter Kupferstich vor 1750

Das Gebäude ist nachweislich erstmals in der Region mit einem Mansarddach ausgestattet worden. Diese Dachkonstruktion schafft eine zusätzliche Etage und erlaubt so eine optimale Raumausnutzung. Der zurückhaltende Fassadenschmuck wirkte stilbildend für eine Strömung im Barock, die von einem nüchtern-erhabenen Stil als Ausdruck des pietistischen Protestantismus geprägt ist.

Holzmodell aus dem 18.Jahrhundert des Waisenhauses

Modelle des Waisenhauses

Modell aus der Kunst- und Naturalienkammer

Nachdem die Waisenknaben 1734 in die neu errichteten Gebäude am Lindenhof umgezogen waren, wurde der ehemalige Schlafsaal als Kunst- und Naturalienkammer neu gestaltet. Die Sammlung von Modellen macht den Anschauungsunterricht an Franckes Schulen deutlich. Darunter findet sich auch ein aufklappbares Modell des Waisenhauses.

Ansicht des dringend sanierungsbedürftigen Waisenhauses im Jahr 1992

Das Waisenhaus nach 1990

Ansicht des Waisenhauses 1992

Das Historische Waisenhaus war zu Beginn des deutschen Wiedervereinigungsprozesse in einem ruinösen Zustand. In den Fenstern fehlten die Scheiben, das Haus war voller Taubendreck und das Holz stark angegriffen.

Daten zur Geschichte des Gebäudes

  • Grundsteinlegung am 13. Juli 1698
  • Einzug der Buchhandlung am 2. August 1700
  • Einrichtung einer Apotheke im Sockelgeschoss 1701. Sie wird zwei Jahre später auf die Nordseite des 1. Stockwerks verlegt.
  • 1734 wurden der Lateinschule die beiden oberen Stockwerke zur ausschließlichen Nutzung übergeben.
  • 1734-1741 wird die Kunst- und Naturalienkammer im ehemaligen Schlafsaal der Waisenknaben im Dachgeschoss des Historischen Waisenhauses eingerichtet.
  • Am 31. März 1945, kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges, wird das Historische Waisenhaus von einer Bombe getroffen. Teile des Gebäudes stürzen ein.
  • Zwischen 1945 und 1991 wurde das Historische Waisenhaus von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg genutzt. In dieser Zeit wurden nur die dringendsten Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt. Das Gebäude war 1989/90 stark vernachlässigt und bedürfte einer grundhaften Sanierung.