Forschungen zur Kunst- und Naturalienkammer (Wunderkammer) der Franckeschen Stiftungen

Blick in die Kunst- und Naturalienkammer mit dem raumgroßen Modell des Universums im Vordergrund.

Aktuelle Publikation zur Geschichte der Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen

Holger Zaunstöck: „Seit Jahrzehnten tot und der Vergessenheit anheimgefallen“? Überlieferungsbedingungen für die Kunst- und Naturalienkammer in der Schulstadt Franckesche Stiftungen. In: Jan Brademann/Gerrit Deutschländer/Matthias Meinhardt (Hg.): Sammeln und Zerstreuen. Bedingungen historischer Überlieferung in Sachsen-Anhalt. Halle: Mitteldeutscher Verlag 2021 (Quellen und Forschungen zur Geschichte Sachsen-Anhalts 21), S. 171–206.

Die Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen zu Halle nimmt in der Museumsgeschichte in Europa einen herausgehobenen Platz ein. Sie repräsentiert eine untergegangene Sammlungs- und Zeigekultur der Vormoderne. Die Kammer im Mansarddach des Historischen Waisenhauses visualisierte Gottes Schöpfung eingefangen in einem Makrokosmos-im-Mikrokosmos-Modell. Sie ist damit eines der überaus seltenen Beispiele für den Erhalt einer Kunst- und Naturalienkammer aus der Frühen Neuzeit in Bezug auf das räumliche Setting, die Objekte, das Mobiliar sowie das ursprüngliche Ordnungskonzept der Sammlung. Doch die Frage lautet: Warum ist das so?

 

Die Franckeschen Stiftungen als Teil des Wunderkammer-Netzwerks AEUM

Die »Alliance of Early Universal Museums« (AEUM) wurde am 13. Oktober 2020 in Halle durch die Franckeschen Stiftungen, das Museum für Anthropologie und Ethnographie »Peter der Große« – Kunstkamera in St. Petersburg (Russland), das Teylers Museum in Haarlem (Niederlande) und den Wunderkammer-Experten Arthur MacGregor (Großbritannien) gegründet. Der Verbund hat es sich zur Aufgabe gemacht, aktuelle Fragen des musealen Umgangs mit überlieferten Wunderkammern oder deren erhaltenen Bestandteilen, der Provenienzforschung sowie der Entwicklung von Zukunftsszenarien zu ihrer Erforschung und Präsentation in einem breit aufgestellten Fachgremium zu diskutieren und zu publizieren.

 

Kooperation mit dem Projekt Sammeln in der Stadt um 1600

Die Stabsstelle Forschung ist Kooperationspartner des von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Projekts „Sammeln in der Stadt um 1600. Die Kunst- und Wunderkammer des Medicus Lorenz Hoffmann im Kontext der europäischen Sammlungs- und Wissenskulturen“, das von Berit Wagner (Frankfurt/Main) geleitet und bearbeitet wird. Es ist geplant, eine gemeinsame Tagung in Halle durchzuführen.

 

Buch zu Teyler’s Museum in Haarlem erschienen – Stabsstelle Forschung beteiligt

Ein umfangreicher Band zur Geschichte von Teyler’s Museum in Haarlem ist 2020 im Brill Verlag (Leiden/Boston) erschienen. Das Museum ist zusammen mit der Kunstkamera St. Petersburg und den Franckeschen Stiftungen Gründungsmitglied der »Alliance of Early Universal Museums«. Das interdisziplinär angelegte und aufwendig gestaltete Buch geht zurück auf eine internationale Tagung in Haarlem 2017. Es wurde herausgegeben von den niederländischen Sammlungshistorikerinnen Ellinoor Bergvelt und Debora Meijers. Die Stabsstelle Forschung war bei der Tagung und ist nun am Buch beteiligt – ihr Leiter, der Historiker Holger Zaunstöck, stellt darin den Besuch des Stiftungsdirektors August Hermann Niemeyer in Haarlem vor und ordnet diesen Moment in die Museumsgeschichte ein: »Visiting Haarlem: August Hermann Niemeyer, the Cabinet of Artefacts and Natural Curiosities at the Halle Orphanage, and Teyler’s Museum«.

 

Online-Publikation »Museum Audiences in the Early Modern Period – Visiting the Halle Orphanage and its Collections«

Holger Zaunstöck: Museum Audiences in the Early Modern Period – Visiting the Halle Orphanage and its Collections. In: Кунсткамера │ Kunstkamera, St. Petersburg, Issue 4 (10) 2020, p. 32–48.

Schon vor dreihundert Jahren herrschte im Halleschen Waisenhaus ein reges Treiben durch Besuchende. Die gezielte Öffnung der Naturalienkammer und der Schulstadt für Publikum traf auf breites Interesse aller Schichten und führte zugleich auch zu erheblichen Problemen im Alltag. Die Herumführer klagten über Überlastung und Unordnung. Studenten machten Ärger und wollten sich nicht den Vorschriften fügen. Deshalb arbeiteten die Franckeschen Stiftungen schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts an Maßnahmen für einen geregelten Besucherverkehr.

 

Publikation »Acta Historica Leopoldina Nr. 70«

Kunst- und Naturalienkammern der Frühen Neuzeit als Lehr- und Lernorte
Herausgegeben von Eva Dolezel (Berlin), Rainer Godel (Halle/Saale), Andreas Pečar (Halle/Saale) und Holger Zaunstöck (Halle/Saale)
(2018, 456 Seiten, 131 Abbildungen, 2 Tabellen, 29.95 Euro, ISBN: 978-3-8047-3795-2, ISSN: 0001-5857)

Kunst- und Naturalienkammern der Frühen Neuzeit faszinieren Besucher und Forscher gleichermaßen als Orte des wissenschaftlichen Sammelns und ästhetischer Präsentation von Naturgeschichte. Der Band konzentriert sich auf deren Bedeutung als Lehr- und Lernorte. Wie erfolgten Lehre und Lernen an diesen Orten? Nach welchen Ordnungen wurden ihre Objekte gesammelt und präsentiert? Wie waren solche frühneuzeitlichen Sammlungen miteinander vernetzt? Woher kamen die Objekte, und wie kamen sie in die Sammlungen? – Das sind nur einige Fragen, die u. a. an Sammlungen in Halle, Leipzig, Erfurt, Göttingen, Zürich, Breslau, London und St. Petersburg untersucht werden. Ein besonders anschauliches Beispiel liefert etwa die Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen, die in den Schulunterricht des Waisenhauses einbezogen war. Die Beiträge analysieren Lehr- und Lernfunktionen eines breiten Spektrums von Sammlungsformen, die vor allem im 17. und 18. Jahrhundert an Akademien, Gelehrten Gesellschaften, Universitäten und Schulen, aber auch an Höfen und in Häusern reicher Bürger etabliert waren. Sie charakterisieren außerdem die Bildungsintensionen sehr verschiedener Sammlerpersönlichkeiten.

Zum Programm der zugehörigen Tagung.

 

Frühneuzeitliche englische und deutsche Sammlernetzwerke und -praxis: Medizin und Naturphilosophie

Workshop, 8./9. Juni 2018, Leopoldina, Halle

Der Wandel von der gezielt und spielerisch ungeordneten Kunstkammer zum geordneten Aufklärungsmuseum ist bekannt. Was noch nicht vollständig erforscht ist, ist der Prozess, durch den diese Transformation erfolgte. Dieser zweitägige Workshop wird die Rolle der gelehrten Gesellschaften in diesem Wandel zwischen England und den deutschsprachigen Ländern untersuchen und sich dabei auf den relativ wenig untersuchten Zeitraum von der Gründung der Leopoldina als medizinische Vereinigung (1652) bis zum Beginn der Präsidentschaft der Royal Society unter Joseph Banks (1778) konzentrieren. Es soll untersucht werden, warum Ärzte in beiden Regionen eine so entscheidende Rolle beim Sammeln sowie als Kenner zu spielen schienen. Hatten die Mediziner der Leopoldina, der Society of Antiquaries in London und der Royal Society ähnliche Sammelpraktiken, Strategien und Gründe für das Sammeln? Welchen Beitrag leisteten sie zur Schaffung von Wunderkammern und frühen Museen sowie zur Entwicklung von Normen der Kennerschaft und der Klassifizierung von Wissen?

Dieser Workshop war Teil eines Networking grant award des Arts and Humanities Research Council (AHRC): Collective Wisdom: Collecting in the Early Modern Academy.  (Principal Investigator: Anna Marie Roos (University of Lincoln), Co-Investigator: Vera Keller (University of Oregon)).

Zum Programm des Workshops.

 

Topografien frühneuzeitlicher Sammlungen – Historische Konturen und aktuelle Forschungen

Gemeinsames Arbeitsgespräch der Franckeschen Stiftungen und des Leopoldina-Studienzentrums am 14. Juni 2017

Organisation und Leitung:
Rainer Godel (Studienzentrum der Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften)
Holger Zaunstöck (Stabsstelle Forschung – Franckesche Stiftungen)

Die in der Frühen Neuzeit an Fürstenhöfen, im bürgerlichen Kontext und im Zusammenhang mit Akademien, Gelehrten Gesellschaften und auch Schulen entstandenen Kunst- und Naturalienkammern sowie Spezialsammlungen sind seit den 1990er Jahren mit einer inzwischen methodisch und sachthematisch weit ausdifferenzierten Palette von Forschungsansätzen betrachtet worden. Neben den »Leuchttürmen« der Sammlungen hat es in einer bislang kaum zu übersehenden Vielzahl Sammlungen gegeben, die nur temporär existierten, die weniger umfangreich waren oder die bestimmten Nutzungskontexten bzw. Personen zugeordnet werden können. Ein diesbezüglich auf  Grundlagenforschung ausgerichtetes Projekt ist ein Desiderat. Ein Arbeitsgespräch am 14. Juni 2017 hat vor dem Hintergrund aktueller Forschungsprojekte zu konkreten Fallstudien aus dieser Vielzahl von  Sammlungen und Sammlungstypen nach deren Topografien, Vernetzungen und Öffentlichkeiten gefragt.

Zum Programm des Arbeitsgesprächs.