Komm mit – wohin?
Ein Jahresprogramm über Krise und Aufbruch
Ein Jahresprogramm über Krise und Aufbruch
Die Franckeschen Stiftungen sind ein weithin sichtbarer Beweis für die Synthese von Beständigkeit und ständigem Wandel. Wir wissen heute, dass August Hermann Francke diese Architektursprache bewusst einsetzte, um ein Zeichen für das Versprechen auf bessere Zeiten zu setzen. Er interessierte sich für eine gleichberechtigtere Gesellschaft, in der jeder Einzelne - und jede Frau - Zugang zu einer angemessenen Bildung haben sollte, um Verantwortung für ihre eigene Lebensweise übernehmen zu können. Er empfand viele der sozialen Bedingungen seiner Zeit als krisengeschüttelt und entwickelte daraufhin Reformideen, mit denen er dazu beitrug, nachhaltige Veränderungsprozesse in Gang zu setzen. Da ein Ruf nach Veränderung jedoch immer mit Unsicherheit einhergeht, war die Etablierung einer Architektur, die Dauerhaftigkeit und Sicherheit verspricht, ein zentrales Mittel, um die weitreichenden Veränderungsprozesse zu flankieren, die Francke den Krisen seiner Zeit entgegensetzen wollte. Das Konzept funktionierte. Die Schulstadt wurde von den Anhängern des Halleschen Pietismus weltweit als das Neue Jerusalem gelobt, und die erhabene Architektur erhielt selbst von skeptischen Zeitgenossen respektvolle Anerkennung.
Nicht nur das Wissen, dass die Franckeschen Stiftungen selbst als Abkehr von den sozialen Krisenphänomenen des 17. Jahrhunderts zu sehen sind, hat uns inspiriert, das Thema Krise und Abkehr in den Mittelpunkt unseres Jahresprogramms 2019 zu stellen. Vielmehr wurde die erstaunliche Erkenntnis hinzugefügt, dass unsere Gegenwart trotz großen materiellen Wohlstands und so weitreichenden Schutzes vor allen denkbaren Lebensgefahren generell als krisenanfälliger denn je wahrgenommen wird. Der Titel »Komm mit – wohin?« impliziert einen Ideenwettbewerb für tragfähige Zukunftskonzepte, deren Ergebnis noch nicht feststeht. Genau auf diesen Ideenwettbewerb hoffen wir.
Im September haben wir die Jahresausstellung »Moderne Jugend? Jungsein in den Franckeschen Stiftungen 1890 – 1933«, die einen grundlegenden Perspektivenwechsel durchlaufen hat. Im Jahr 2019 feierte Deutschland den 100. Jahrestag der Gründung des Bauhauses, einer Bewegung junger Menschen, deren Konzepte auch als Reaktion auf die Krisenphänomene des frühen 20. Jahrhunderts zu verstehen sind. Wir nutzten diese Gelegenheit, um gleichzeitig nachzudenken und neben der eigentlichen Bauhaus-Bewegung zu fragen, was es damals bedeutete, ein junger Mensch in den Franckeschen Stiftungen zu sein, welche Ängste, Hoffnungen und Erwartungen die Jugendlichen hatten, die als Schüler in den Stiftungen lebten oder hier die Schulen besuchten. In den immer wiederkehrenden Veranstaltungen wie Francke-Fest, Museumsnacht, Lindenblütenfest oder »Persönlichkeiten im Gespräch« haben wir ein Forum für aktuelle gesellschaftliche Debatten eröffnet, sie zu einem Ort respektvoller Diskurskultur gemacht und damit auch einen Beitrag zur Erhaltung einer befestigten Demokratie in einer offenen und vielfältigen Gesellschaft geleistet. Basis ist immer der respektvolle Umgang miteinander und sein Lebensinhalt ein Wettbewerb um die besten Ideen für die Zukunft.