TSURIKRUFN! 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Projekt Tsurikrufn - Ludwig Philippson

Anlässlich des Festjahrs »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« hat die Arbeitsgemeinschaft selbständiger Kulturinstitute (AsKI) ein Portal unter dem Titel »Tsurikrufn« – dem jiddischen Wort für Erinnern – veröffentlicht. Für das digitale Gemeinschaftsprojekt haben die Mitgliedsinstitute ihre Archive geöffnet und erzählen beeindruckende Geschichten von Jüdinnen und Juden, die mit ihren Häusern verbunden sind, und ihren Beiträgen zur Kultur in Deutschland. 

Die Franckeschen Stiftungen erinnern an zwei Persönlichkeiten: Isaak Wetzlar (1685/90–1751) und Ludwig Philippson (1811–1889).

Isaak Wetzlar war ein gebildeter jüdischer Kaufmann aus Celle. 1748/49 verfasste er auf Jiddisch eine religiös-ethische Reformschrift mit dem Titel »Libes Briv«, in die er theologische Konzepte und Ideale pietistischer Frömmigkeit und Lebensführung aufnahm. Wetzlar wandte sich in dieser Schrift an seine jüdischen Brüder und Schwestern, übte scharfe Sozialkritik und rief zur religiösen Erneuerung und Reform der jüdischen Gesellschaft auf. Außergewöhnlich ist, dass Wetzlar fromme Christen als Vorbild anführt, an denen sich seine jüdischen Glaubensgenossen ein Beispiel nehmen sollten. Isaak Wetzlar hatte die pietistischen Reformideen August Hermann Franckes durch die Schriften des Institutum Judaicum und im persönlichen Gespräch mit den Reisemitarbeitern des Halleschen Instituts kennengelernt. Auch wenn er sich deutlich von deren Missionsabsichten distanzierte, zeigte er sich für zentrale Grundsätze und Gedanken der pietistischen Theologie aufgeschlossen und integrierte sie in seine eigenen jüdisch geprägten Vorstellungen.

Ludwig Philippson trat als Rabbiner und Schriftsteller mit seinen humanitären und liberalen Ideen für die Rechte der Juden ein und trug maßgeblich zu deren rechtlichen Stellung in Preußen bei. Zu seinen bedeutendsten Leistungen gehört die Übersetzung der Hebräischen Bibel und die Gründung der Israelitischen Bibelanstalt. Philippson war Herausgeber der Allgemeinen Zeitung des Judentums, welche als Sprachrohr der jüdischen Reformbewegung galt. Als 15-Jähriger war Philippson als erster jüdischer Schüler an der Lateinischen Schule der Franckeschen Stiftungen zugelassen worden. In seinen Erinnerungen »Aus meiner Knabenzeit« beschreibt er anschaulich seiner Aufnahme in die Franckeschen Stiftungen, seiner Zeit an der dortigen Lateinischen Hauptschule und seines Eindrucks der Stadt Halle in den 20er-Jahren des 19. Jahrhunderts. In all seinen späteren Wirkungsfeldern vertrat Philippson einen Mittelweg zwischen den althergebrachten Ansichten orthodoxer jüdischer Kreise, die eine Integration der Juden in die sich entwickelnde bürgerliche Gesellschaft vollständig ablehnten, und Verfechtern radikaler Reformen, die eine vollständige Modernisierung anstrebten und sich von allen überkommenen Traditionen zu trennen suchten. Er verband dabei fortschrittsfreundlich-liberale Ideen im Kampf um die Emanzipation und rechtliche Gleichstellung der Juden mit konservativer Zurückhaltung in religiösen Einzelfragen.