Bildung für alle im 18. Jahrhundert?

Die Franckeschen Stiftungen als frühneuzeitliche Bildungsarchitektur

Oberste Etage des Pädagogiums mit speziell ausgewiesenen Unterrichtsräumen, Ausschnitt einer Planzeichnung, um 1750
Oberste Etage des Pädagogiums mit speziell ausgewiesenen Unterrichtsräumen, Ausschnitt einer Planzeichnung, um 1750

Das vom Land Sachsen-Anhalt geförderte Projekt widmet sich der Erschließung und konzeptionellen Durchdringung der frühneuzeitlichen Quellen zur Geschichte der Schulen der heutigen Franckeschen Stiftungen, die im 18. Jahrhundert als Glauchasche Anstalten bezeichnet wurden. Im Fokus steht dabei die Verbindung der Schularchitekturen mit dem hier entwickelten und wirksam gewordenen spezifisch pietistisch fundierten Pädagogikkonzept. Dieses zielte auf die Bildung und Erziehung von Kindern aller Stände, auf Jungen und Mädchen.

Während in früheren Jahrhunderten Unterricht oft in ein und demselben Raum im Haus des Lehrers stattfand, sind Schulen heute eigenständige, räumlich ausdifferenzierte und hochspezialisierte Einrichtungen, deren Funktionen und pädagogische Leitlinien sich in der Architektur und inneren Struktur widerspiegeln. Den epochalen Bruch mit dem Unterricht in Lehrerwohnhäusern oder auch in säkularisierten und dann umfunktionierten Klöstern hin zu planvoll angelegten und räumlich ausdifferenzierten Schulneubauten sieht die Forschung gemeinhin in der Zeit um 1800. Als ausschlaggebend für diese Entwicklungen wird hierbei die durch die Aufklärung geprägte Reformpädagogik angeführt, was sich in der Gründung zukunftsweisender Schulen wie dem Dessauer Philanthropin oder der Schule in Schnepfenthal niedergeschlagen habe.

Übergreifende oder vergleichende Studien zu Schulen oder Bildungsarchitekturen für die Zeit davor finden sich hingegen kaum. Hermann Langes grundlegende Studie »Schulbau und Schulverfassung der frühen Neuzeit« von 1967 ist hier nach wie vor eine zentrale Referenz. Gleichwohl liegen zu städtischen oder Landesschulen sowie Ritterakademien und Universitäten zahlreiche Einzelstudien vor, die auf eine reichhaltige Bildungslandschaft und -architektur in der Frühen Neuzeit schließen lassen.

Das Projekt setzt sich zum Ziel, auf der Basis des umfangreichen historischen Quellenmaterials (Schulordnungen, Architekturpläne etc.) die Schularchitektur und die Schulräume der frühneuzeitlichen Glauchaschen Anstalten in vergleichender Perspektive zu analysieren. Mit diesem über den Einzelfall hinausgehenden Zugriff leistet das Projekt zudem einen Beitrag zum benannten Forschungsdesiderat zu Schularchitekturen vor 1800. Einen ersten Einblick in die Analyse der historischen Architekturpläne und die daraus abgeleiteten Ergebnisse für die Baugeschichte der Stiftungen bietet dieser Forschungsbericht.

Die seit langem betriebenen Forschungen zum pietistischen Kinder- und Menschenbild, zu Unterricht und Schulen der Anstalten, zu SchülerInnen und LehrerInnen sollen mit den architektonischen und räumlichen Gegebenheiten der Gebäude sowie der inneren Organisation in Verbindung gebracht werden. Hierbei ist die Frage zu erörtern, ob und, wenn ja, in welchem Maße sich das pietistische Bildungskonzept in der Anlage der Gebäude, ihren räumlichen Strukturen und der sozialen Organisation widerspiegelt. Die Glauchaschen Anstalten stellten im 18. Jahrhundert eine exzeptionelle Bildungseinrichtung dar, an der alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem sozialen Stand und Geschlecht, Bildung erwerben konnten und erzogen werden sollten.

Vom 13. bis 15. Oktober 2022 wurde eine internationale und interdisziplinäre Tagung zu frühneuzeitlichen Bildungsarchitekturen in den Franckeschen Stiftungen durchgeführt.

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