Einladung in das 18. Jahrhundert. Bücherwelten digital erleben

Online-Präsentation zur Sonderausstellung der Franckeschen Stiftungen vom 18. November – 13. Februar 2021

Ausstellungsmotiv: Titelkupfer von Christian Wolff "Vernünftige Gedancken" auf einem Tablet.

Die Franckeschen Stiftungen und die Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (ULB) laden zu einer Ausstellung in das Historische Waisenhaus ein, in der Bücher aus dem 18. Jahrhundert analog und digital im Mittelpunkt stehen. Den Anlass für diese Ausstellung bildet das nationale, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 18. Jahrhunderts, kurz VD 18. Es zielt darauf, das gedruckte kulturelle Erbe des 18. Jahrhunderts für die Forschung digital verfügbar zu machen. Seit vielen Jahren ist die ULB maßgeblich daran beteiligt und hat seit 2019 auch die Bearbeitung von Beständen der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen und der Marienbibliothek übernommen. In ihrer Gesamtheit spiegeln die digitalisierten Werke das Jahrhundert der Aufklärung wider. In Halle werden die Drucke der weltweit ausstrahlenden Frömmigkeitsbewegung des Pietismus in das Projekt eingebracht.
Die Ausstellung erklärt das Projekt, visualisiert den Workflow von der Katalogisierung über die Digitalisierung bis zur Präsentation im WWW, erzählt beispielhaft die Biographie eines Gebetbuchs von seiner Entstehung im 18. Jahrhundert bis zu seiner digitalen Veröffentlichung und zeigt ausgewählte Drucke dieser Zeit aus den Beständen der drei hallischen Bibliotheken – ein Bücherfest zum 18. Jahrhundert.

Das 18. trifft das 21. Jahrhundert

Das 18. Jahrhundert – das Jahrhundert der Aufklärung

Das 18. Jahrhundert gilt heute als das Jahrhundert der Aufklärung in Europa und Nordamerika. Die AufklärerInnen wollten durch rationales Denken und Handeln die Lebenssituation der Menschen verbessern. Deshalb nahmen sie mit »Vernunft«, wie sie sagten, alle menschlichen Lebensbereiche in den Blick. Das wichtigste Medium zur Verbreitung aufklärerischer Ideen war das Buch. Besonders Enzyklopädien und Universal-Lexika, aber auch Zeitschriften und Journale sollten das in allen Bereichen erlangte Wissen verbreiten. Gesellschaftspolitisches Ziel war die Emanzipation des Individuums von Staat und Kirche, die sich beide am Gemeinwohl orientieren sollten. Empfindsame Strömungen wie der Sturm und Drang sowie die Romantik wandten sich gegen die Rationalität der Aufklärung. Das Verhältnis von Obrigkeit, Kirche und Adel zur Aufklärung war zwiespältig.

Das 21. Jahrhundert –  das Jahrhundert der Digitalisierung

Digitalisierung meint eigentlich, physische Informationen in digitale Daten umzuwandeln und zu speichern. In den letzten Jahrzehnten haben die vielfältigen Möglichkeiten der Digitalisierung die gesamte Industrie erfasst und verändert. Noch stehen wir am Anfang dieser Entwicklung hin zur »Industrie 4.0« – einer neuen industriellen Revolution, die auch die Gesellschaft und die Lebenssituation der Menschen verändert. Dank der Digitalisierung können wir heute Klänge, Bilder, Schriften und Objekte in digitalen Systemen erfassen und auf geringstem Raum archivieren, um sie NutzerInnen weltweit zur Verfügung zu stellen. Software zur Schrifterkennung wiederum verwandelt digitale Abbilder von Buchseiten automatisch in Text, der durchsucht und weiterverarbeitet werden kann. Dadurch sind wir in der Lage, das in historischen Texten enthaltene kulturelle Wissen dauerhaft zu bewahren und in Sekundenschnelle mit nur wenigen Klicks abzurufen.

Das Projekt VD 18

Den Anlass zu dieser Ausstellung gibt das nationale bibliothekarische Projekt Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 18. Jahrhunderts, kurz VD 18. Es zielt darauf, das gedruckte kulturelle Erbe des 18. Jahrhunderts – geschätzte 600.000 Drucke – digital verfügbar zu machen. An diesem Projekt haben sich seit 2009 27 deutsche Bibliotheken beteiligt und wurden dabei von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Fast die Hälfte des nationalen Schrifttums ist mittlerweile in einem VD18-Katalog für die Wissenschaft, aber auch für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich.
Die Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle (ULB) ist eine der führenden Bibliotheken auf dem Gebiet der Digitalisierung in Deutschland und war von Anfang an maßgeblich an dem Projekt beteiligt. Da auch die Marienbibliothek und die Bibliothek der Franckeschen Stiftungen einmalige und seltene Bücherschätze besitzen, hat die ULB die jüngste Projektphase als Kooperation konzipiert und Bücher aus diesen Einrichtungen erschlossen und digitalisiert. Etwa 50.000 Drucke aus Bibliotheken Halles sind derzeit im VD 18 nachgewiesen.

Die Projektpartner

Die Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle

Die ULB ist die größte wissenschaftliche Allgemeinbibliothek des Landes Sachsen-Anhalt. Sie versorgt die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und die Region mit wissenschaftlicher Literatur – sowohl gedruckt als auch digital.

Als Pflichtexemplar-Bibliothek verwahrt sie jeweils ein Exemplar aller in Sachsen-Anhalt erschienenen Publikationen.
Die ULB zählt zu den bedeutendsten Altbestandsbibliotheken in Deutschland: Ganze Bibliotheken von Gelehrten, kirchlichen Institutionen und Adelsfamilien sind in der ULB aufgegangen, zum Beispiel die Büchersammlung des Geheimen Kriegsrates Johann August von Ponickau (1718–1802) mit bedeutenden Werken zur mitteldeutschen Geschichte und Kultur. Bibliotheksarchitektonisch wegweisend ist das Magazingebäude Ludwig von Tiedemanns (1841–1908) in der August-Bebel-Straße 50. Zusammen mit dem historistischen Verwaltungsgebäude in der August-Bebel-Straße 13 bildet es die Zentrale der ULB. Hinzu kommen zwölf weitere Zweigbibliotheken, die im ganzen Stadtgebiet verteilt sind.
Die ULB ist seit Jahren Vorreiterin auf dem Gebiet der Digitalisierung historischer Bücher. Diese werden mit modernsten technischen Verfahren erschlossen und im Internet öffentlich verfügbar gemacht. Von den 175.000 Titeln des 18. Jahrhunderts im Bestand der ULB wurde ein Anteil von etwa 27% im Rahmen des VD18-Projekts digitalisiert.

Die Marienbibliothek in Halle

Die 1552 gegründete Marienbibliothek ist eine wissenschaftliche evangelische Kirchenbibliothek und seit ihrer Gründung im Besitz der evangelischen Marktgemeinde.

Sie gilt als eine der wertvollsten Büchersammlungen der Reformationszeit. Der Bestand der als Präsenzbibliothek nutzbaren Einrichtung umfasst etwa 38.000 Bände, vorwiegend aus dem 15. bis 19. Jahrhundert. In dieser Schatzkammer finden sich Werke aus allen Wissensgebieten. Eine besondere Rarität sind die vier umfangreichen, geschlossen erhalten gebliebenen Gelehrtenbibliotheken aus dem 17. und 18. Jahrhundert.
Die Bibliotheksbestände sind in einem alphabetischen Zettelkatalog erschlossen, der allerdings Lücken aufweist. Etwa ein Viertel der Bestände sind inzwischen im elektronischen Verbundkatalog verfügbar.
Ein großer Teil des Bestandes der Marienbibliothek stammt aus dem 18. Jahrhundert. Von den ca. 30.000 Titeln, darunter zahlreiche Unikate, sind bisher ca. 17.500 Titel im elektronischen Katalog erfasst und ca. 1.000 im Rahmen des VD18-Projekts in der Universitäts- und Landesbibliothek bearbeitet worden.

Die Bibliothek der Franckeschen Stiftungen

Die Bibliothek des Waisenhauses war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine nach modernen Prinzipien geführte Institution.

Dazu zählten regelmäßige Öffnungszeiten, die Anstellung eines Bibliothekars, die Verzeichnung der Titel in einem Sachkatalog und die Zugänglichkeit für die »studierende Jugend«. Für August Hermann Francke (1663–1727) war sie ein wichtiger Baustein seiner christlichen Bildungs- und Erziehungsreform. Um 1725 verfügte die Bibliothek durch umfangreiche Schenkungen bereits über 18.000 Bände. Gesammelt wurden mit großer Weltoffenheit und Praxisnähe Bücher aller Wissensgebiete, wenn auch der Schwerpunkt auf theologischem Schrifttum lag. Auch das schlichte, zwischen 1726 und 1728 errichtete Bibliotheksgebäude mit der Platz sparenden Anordnung der Regale zielte auf die Nutzung, nicht auf die prächtige, zeittypische Repräsentation.
Heute werden die Bestände im Studienzentrum August Hermann Francke bewahrt, erschlossen und vermittelt. Von den 31.500 Titeln des 18. Jahrhunderts sind im Rahmen des VD18-Projekts etwa 1.700 Titel in der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt erschlossen worden. Sie sind in den Digitalen Sammlungen des Studienzentrums August Hermann Francke recherchierbar.

Der Kupferstich von Gottfried August Gründler (1710–1775) befindet sich in einem Druck mit dem Titel »Vernünfftige Gedancken Von Gott, Der Welt und der Seele des Menschen« (1751) von Christian Wolff (1679–1754). Auf dem Frontispiz dominieren die Sonne, die aus den Wolken hervorbricht, und das Spruchband »Lucem post nubila reddit« (Nach einer bewölkten Zeit bringt Er das Licht zurück.). Deshalb wurde dieses Motiv zum Sinnbild für diese Ausstellung und für das Ausstellungsplakat ausgewählt.

Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken Von Gott [...]. 2. Aufl. 1751

Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken Von Gott, Der Welt und der Seele des Menschen, Auch allen Dingen überhaupt. Den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet. Neue Auflage hin und wieder vermehret. Halle: Renger, 1751
Halle, Bibliothek der Franckeschen Stiftungen: 167 M 4
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, VD18 11315792

Christian von Wolff (1679–1754, 1745 geadelt) war von 1701 bis 1723 und von 1740 bis 1754 Professor in Halle. Sein System des Rationalismus wurde zur beherrschenden Philosophie seiner Zeit und sein Einfluss auf die deutsche Aufklärung war groß. Das Werk »Vernüfftige Gedanken von Gott« erschien erstmals 1721.

Das 18. Jahrhundert wird digital. Wie kommt das Buch aus dem Regal ins Netz?

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Wie kommt ein Buch raus aus dem Regal und rein ins Netz? In dieser Präsentation wird der Digitalisierungsworkflow in der Universitäts-und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Text und Bild anschaulich erklärt. Den vielen Menschen, die daran beteiligt sind, wird gewissermaßen über die Schultern geschaut: dem Restaurator, der prüft, ob die Bücher überhaupt digitalisiert werden dürfen, der Magazinerin, die die Bücher aus den Regalen holt, den KatalogisiererInnen, die Titel normgerecht katalogisieren, den ScanoperatorInnen, die die Bücher Seite für Seite auf unterschiedlichen Scannern bestandsschonend digitalisieren und die Qualität der Images prüfen und den IT-Kräften, die für die Langzeitarchivierung der Digitalisate sorgen, um nur einige Schritte des hoch komplexen Workflows zu benennen.

Die Biographie eines Buches

»Darf ich mich vorstellen? Ich bin ein Gebetbuch, das unter dem Titel Christliches Lehr-, Beicht- und Bät-Büchlein, vor Gottselige Communicanten 1716 in Frankfurt am Main das Licht der Welt erblickt hat. Durch eine Vorrede des berühmten Theologen Philipp Jakob Spener wurde ich bekannt und in frommen Kreisen viel gelesen.«

Christliches Lehr-, Beicht- und Bät-Büchlein, vor Gottselige Communicanten […].

Aus unterschiedlichen Christlich- und gottseligen Lehrern und Büchern mit Fleiß zusammengetragen, mit einer Vorrede D. Philipp. Jac. Speners.
Frankfurt/Main: Zunners Erben; Jung, 1716
Halle, Bibliothek der Franckeschen Stiftungen: 11 F 1
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: VD18 12852686 (Vorlage: 11 F 1)

»Ich war nicht die erste Ausgabe dieses Buches. Bereits 1667 hat Spener in einem Brief an einen angesehenen Frankfurter Bürger meinen Vorfahren erwähnt.«

Brief von Philipp Jakob Spener an einen Frankfurter Bürger.

Frankfurt/Main, 9. November 1667.
Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen: AFSt/H  A 143 : 111b

Der früheste Beleg für Speners »Christliches Lehr-, Beicht- und Bät-Büchlein, vor Gottselige Communicanten« findet sich in einem Brief an einen unbekannten Frankfurter Bürger vom 9. November 1667:

»In vester zuversicht, daß ja dermaleins unsere arbeit nicht vergebens sein werde, übersende ich hiebei gegenwärtiges under meiner inspection getrucktes büchlein mit bitte solches, alß darin die ursachen der H[eiligen] Communion und waß zu würdiger vorbereitung gehöret, zimlich erkläret wird, mit andacht zulesen und etwa die morgende sabbathsfeyer dahin anzuwenden. Der grundgütige Gott verleihe dazu seinen geist und gnade, daß ihm sein wort vielmehr ein geruch des lebens zum leben, alß, welches endlich bei beharrlicher verweigerung sein würde, ein geruch de todes zum todt werden möge.
Nechst welchem hertzlichen wunsch ich verbleibe M[eines] gr[oß] g[önstigen] Hochg[eehrten] H[errn] zu gebet und treuen diensten freundwilliger [Philipp Jacob Spener, D.]
den 9. Nov. 1667.«

»Mein erster Herr war ein vermögender Mann, Carl Hildebrand von Canstein aus Berlin, der mich in Pergament einbinden ließ und mir die Nummer 266 für kleine Bücher im Format Duodez in seiner großen Bibliothek zuwies. Er trug meinen Titel unter dieser Nummer in seinen imposanten Bibliothekskatalog ein. Diese Zahl ist noch heute gut auf meinem Buchrücken zu erkennen.«

Bandkatalog der Bibliothek Carl Hildebrand von Cansteins zu den Libri Theologici. Bis 1719.

Halle, Archiv der Franckeschen Stiftungen: AFSt/H  A 29

Die Bücher aus Cansteins Bibliothek sind in zwei dickleibigen, imposanten Handschriftenbänden überliefert. Es handelt sich um einen nach Fächern geordneten Gesamtkatalog, der Titel bis zum Erscheinungsjahr 1717 verzeichnet und teilweise von Canstein selbst geführt worden ist, und einen Spezialkatalog, der eine saubere, ergänzende Abschrift des theologischen Teils darstellt und bis 1719 reicht. Daraus aufgeschlagen ist die Seite mit dem Eintrag zu dem Gebetbuch: »[Phil. Jac. Speneri] Vorrede zu einem Communion-Büchlein. Frkf. 1716.  12  266«. Die Signatur 266 ist noch heute gut auf dem Buchrücken zu erkennen.

»Im Laufe der 300 Jahre, die ich nun schon in Halle bin, haben sich die Bibliothekare immer wieder neue Ideen ausgedacht, wie ich schnell und besser gefunden werde, zunächst in einem Band-, dann in einem Zettel- und zuletzt in einem elektronischen Katalog.«

Katalogkarte 1 mit handschriftlichen Eintragungen
Katalogkarte 2 mit maschinenschriftlichen Eintragungen

Titelaufnahme des Büchleins auf zwei Katalogkarten aus dem Zettelkatalog der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen.

Katalogkarte 1: Handschriftliche Titelaufnahme nach den Preußischen Instruktionen
Katalogkarte 2: Maschinenschriftliche Titelaufnahme nach den Preußischen Instruktionen

Nach den sog. Preußischen Instruktionen wurde der Titel im Zettelkatalog nach dem ersten unabhängigen Substantiv unter dem Namen des Verfassers der Vorrede, Philipp Jakob Spener, einsortiert. Deshalb ist »Lehr« und »Büchlein« auf der Katalogkarte unterstrichen. Rechts oben auf der Katalogkarte befindet sich die Signatur des Buches in der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen. Der Stempel »ZK« bedeutet, dass der Titel im Zentralkatalog Sachsen-Anhalt nachgewiesen worden ist. Der Zentralkatalog wurde von der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in der Zeit der DDR aufgebaut. Die Titel wurden dort maschinenschriftlich nachgewiesen.

»2020 wurde ich mit einem Bücherauto in die Universitäts- und Landesbibliothek in der August-Bebel-Straße gebracht. Ich war ganz aufgeregt, als ich vorsichtig auf einen Scanner gelegt und Seite für Seite digitalisiert wurde. Mich gibt es nun real und digital und mein Inhalt kann weltweit zu jeder Zeit gelesen werden.«

VD 18 trifft Wissenschaft

Ausschnitte aus Titelblättern verschiedener Werke wissenschaftlichen Inhalts
Ausschnitte aus Titelblättern verschiedener Werke wissenschaftlichen Inhalts
Ausschnitte aus Titelblättern verschiedener Werke wissenschaftlichen Inhalts
Ausschnitte aus Titelblättern verschiedener Werke wissenschaftlichen Inhalts
Ausschnitte aus Titelblättern verschiedener Werke wissenschaftlichen Inhalts
Ausschnitte aus Titelblättern verschiedener Werke wissenschaftlichen Inhalts
Ausschnitte aus Titelblättern verschiedener Werke wissenschaftlichen Inhalts
  

Die Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts mussten mit einer Informations- und Medienflut zurechtkommen – so wie wir heute. Die Buchproduktion steigerte sich ab 1770 signifikant von ca. 1.800 Neuerscheinungen jährlich auf über 4.000 am Ende des Jahrhunderts. Religiöse Schriften verloren ihre führende Stellung auf dem Buchmarkt und das Latein wurde als Gelehrtensprache zunehmend verdrängt. Gelehrte Journale und Zeitschriften intensivierten den Wissensaustausch, Enzyklopädien bereiteten Informationen übersichtlich auf, Entdeckungen und die Erforschung der Natur führten zu einem Zuwachs an Wissen bis hin zur Herausbildung neuer wissenschaftlicher Disziplinen.
Im Rahmen des VD18-Projekts sind bis heute etwa 262.000 Drucke digitalisiert worden. Welche der vielen Drucke zeigen wir Ihnen? Wir sind auf VertreterInnen verschiedener Wissenschaftsdisziplinen zugegangen und haben sie gebeten, ein für ihre Arbeit wichtiges oder interessantes Buch mit einem Text in der Ausstellung vorzustellen. Auf diese Weise ist ein buntes Kaleidoskop von Büchern zusammengekommen, von bekannten wie Immanuel Kants Kritik der praktischen Vernunft bis zu weitgehend vergessenen Titeln wie Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft. Im wöchentlichen Wechsel stellen wir Ihnen eine Auswahl aus den unterschiedlichen Fachgebieten und Texten vor.

Titelblatt von Sulzer "Allgemeine Theorie der Schönen Künste"

Sulzer, Johann Georg:
Allgemeine Theorie der Schönen Künste in einzeln, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden, Artikeln abgehandelt. Neue vermehrte zweyte Auflage. Teil 1.
Leipzig: Weidmann, 1792.

Halle, Bibliothek der Franckeschen Stiftungen: 126 D 13
München, Bayerische Staatsbibliothek, VD18 90266579

Sowohl wissenschaftlich als auch institutionell ist Johann Georg Sulzer (1720–1779) ein Knotenpunkt in der intellektuellen Geschichte des 18. Jahrhunderts. Als Mitglied der philosophischen Klasse der Berliner Akademie hat er ein vielseitiges Werk hinterlassen, das ein breites Spektrum von Fächern abdeckt: Ästhetik, Philosophie, Psychologie, Literatur und Literaturkritik, Reiseberichte, Pädagogik und Naturwissenschaften. Berühmt ist er vor allem für den gewichtigen Beitrag, den er als Autor der Allgemeinen Theorie der Schönen Künste zur Kunsttheorie und Ästhetik des 18. Jahrhunderts geleistet hat. Ganz im Geiste der Aufklärung wollte er hiermit eine philosophische und praktische Theorie der Künste in alphabetischer Ordnung liefern. Kaum ein kunsttheoretisches Werk des 18. Jahrhunderts hat eine so breite Aufnahme in Deutschland erfahren wie dieses Lexikon, das zum ersten Mal zwischen 1771 und 1774 in Leipzig erschien und zahlreiche Auflagen erlebte. Kurz nach Sulzers Tod veröffentlichte Christian Friedrich von Blankenburg (1744–1796) eine mit zahlreichen bibliographischen Hinweisen vermehrte Edition dieses Werkes, die heute immer noch benutzt wird.
Prof. Dr. Elisabeth Décultot, Germanistin

Titelblatt von Christian Fürchtegott Gellert "Briefe nebst einer praktischen Abhandlung ..."

Gellert, Christian Fürchtegott:
Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen. Neue Auflage.
[S.l.], 1755.

Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: Goe 700 (4)
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, VD18 11084693

Was uns heute das Smartphone ist, war für das 18. Jahrhundert der Brief. Obwohl es ihn schon länger gibt, entdeckt Christian Fürchtegott Gellert (1715–1769) als einer der Ersten 1751 das Potenzial des Briefes als »Verräther unsers Verstandes, und oft unsers ganzen Charakters«. Der Briefwechsel wird somit zur authentischen Nachahmung eines Gespräches. Er kann Menschen über Distanzen verbinden und Beziehungen vertiefen.
Dieser neuen Brieflehre lässt Gellert Beispiele folgen, an denen vor allem nachempfunden werden soll, was einen guten Brief ausmacht. Gerade diese echten Briefe entfalten auch heute noch eine beeindruckende Unmittelbarkeit: sie machen erfahrbar, wie Menschen vor über 250 Jahren über das Papier zusammen kamen, sich trösteten, flirteten, stritten und sich beglückwünschten – so wie wir es heute digital tun. Diese Unmittelbarkeit tritt 2021 umso deutlicher hervor, wenn Kontakte wieder beschränkt werden müssen, und plötzlich sind wir dem 18. Jahrhundert wieder nah. Nur das Medium ist ein anderes.
Anja Pönisch, Studentin

Titelblatt von Homerus "Illias", herausgegeben von Friedrich August Wolf

Homerus:
Ilias. Ad Exemplar Maxime Glasguense In Usum Scholarum Diligentissime Expressa. Hg. v. Friedrich August Wolf. Teil 1–2.
Halle: Waisenhaus, 1785.

Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: Cf 2034 (1/2)
München, Bayerische Staatsbibliothek, VD18 9079284X (Teil 1); VD18 90792858 (Teil 2)

Die zweiteilige Ausgabe der Ilias, die Friedrich August Wolf (1759–1824) im Auftrag des Verlages der Buchhandlung des Halleschen Waisenhauses im Jahr 1785 erscheinen ließ, schließt eine von ihm besorgte Gesamtausgabe der homerischen Epen ab, die im Jahr zuvor mit einer Edition der Odyssee und weiterer unter dem Namen Homers überlieferter Gedichte begonnen worden war. Da das ganze Unternehmen lediglich schulischen Zwecken dienen sollte, beschränkte sich Wolf darauf, den Text nach dem Vorbild der sogenannten Glasgow’schen Homerausgabe von 1756/58 in möglichst korrekter Form zu einem günstigen Preis bereitzustellen. Bis zur Vorlage eines von ihm selbst erarbeiteten Textes der Ilias und einer zusammenhängenden Darstellung ihrer Textgeschichte war es damals noch ein weiter Weg; erst zehn Jahre später ließ Wolf auf eine kritische Ausgabe der Ilias seine berühmten Prolegomena ad Homerum folgen, die den Anstoß zu der bis heute diskutierten »Homerischen Frage« gaben!
Prof. Dr. Michael Hillgruber, Klassischer Philologe

Titelblatt von Johann Müller: Or le-ʿet ʿerev

Müller, Johann:
Or le-ʿet ʿerev: leha-ir eyny Israel [...] baʿal ha-meḥaver [...] Yoḥanan Ḳimḥî […].
[Halle: Institutum Judaicum], [5]488 [1727/28].

Halle, Franckesche Stiftungen: 38 G 7
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, VD18 13524488-001 (vorläufig)

Die Erschließung der jiddischen Drucke des Institutum Judaicum ist für die jüdische Kulturgeschichte von immenser Bedeutung. Diese Schriften wurden für die Judenmission auf Jiddisch, der Volkssprache der Juden Mittel- und Osteuropas, verfasst und von reisenden Missionaren in den jüdischen Gemeinden Europas verteilt. Eines der populärsten Missionstraktate war Or le-ʿet ʿerev (Licht am Abend) von Johann Müller. Um die Leser und Leserinnen über das missionarische Ziel der Schrift hinwegzutäuschen, übertrug Müller seinen Namen als Yochanan Kimchi ins Hebräische und erweckte so den Anschein, ein jüdischer Autor zu sein. Der dialogisch aufgebaute Text gibt ein fingiertes Gespräch wieder, in dem ein Rabbiner einen jüdischen Kaufmann scheinbar in Argumenten gegen christliche Polemik unterweist. Tatsächlich propagiert der Text jedoch den Glauben an Jesus Christus. Quellen wie Or le-ʿet ʿerev und ihre Rezeption ermöglichen einen einzigartigen Einblick in die häufig verborgenen Reaktionen von Juden auf die Mission und ihr Interesse an der christlichen Erweckungsbewegung des Pietismus.
Prof. Dr. Rebekka Voß, Judaistin

Titelblatt von Christian Gottlieb Kratzenstein: Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft.

Kratzenstein, Christian Gottlieb:
Abhandlung von dem Nutzen der Electricität in der Arzneywissenschaft. Zweyte und vermehrte Auflage.
Halle: Hemmerde, 1745.

Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: Qb 1301 a (4)
München, Bayerische Staatsbibliothek, VD18 11537779

Durch das VD 18 werden der Wissenschaftsgeschichte entlegene und wenig beachtete Texte zugänglich gemacht. Ein Beispiel ist Kratzensteins mehrfach nachgedruckte Abhandlung vom medizinischen Nutzen der Elektrizität von 1744.
Christian Gottlieb Kratzenstein kam 1742 zum Studium nach Halle. Schon 1743 erhielt er einen Preis der Akademie von Bordeaux. 1748 wurde er Mitglied der Leopoldina und Professor in Petersburg. Ab 1753 war er Professor in Kopenhagen.
Mit seinen akademischen Lehrern Lange und Krüger gehörte er zu den Pionieren der Elektrotherapie, die er mit kritischem Humor darstellt. Elektrizität sei u. a. ein Mittel gegen Fettleibigkeit, da sie das aus »schweflichten Theilen« bestehende Fett aus dem Körper austreibe. Ebenso erfolgreich sei jedoch, bei der »Cur der dicken Bäuche« den Patienten die Kurbel der Elektrisiermaschine drehen zu lassen, weil die damit verbundene körperliche Anstrengung noch wirksamer sei als das durch Reibung freigesetzte elektrische Fluidum.
Prof. Dr. Andreas Kleinert, Wissenschaftshistoriker

VD 18 trifft Kultur und Gesellschaft

Bibliotheksregal

Durch die Schul- und Unterrichtspflicht und die damit einhergehende Lese- und Schreibfähigkeit nahmen im 18. Jahrhundert mehr Personen als zuvor ein Buch in die Hand, nicht nur die Bibel oder ein Gesangbuch, sondern auch Zeitschriften, Romane, Erziehungsratgeber, Lexika und anschaulich illustrierte Werke aller Wissensgebiete.
Das spiegelte sich auf dem Buchmarkt wider: Während die schöne Literatur um 1745 lediglich einen Anteil von 6,4% an der Gesamtproduktion erzielte, nahm sie um 1800 mit 27,3% eine Spitzenstellung unter den Neuerscheinungen ein. Dieser Leserevolution fühlten sich viele Zeitgenossen hilflos ausgeliefert und fürchteten die schlimmen Folgen der »Lesewut« für die Jugend, der nur mit pädagogischer Lenkung zu begegnen sei – eine Parallele zu heutigen Diskursen um den unlimitierten Medienkonsum.
Hier werden schlaglichtartig Bücher präsentiert, die gern gelesen wurden: von der protestantischen Erbauungsliteratur über Klassiker der Kinder- und Jugend- sowie der schönen Literatur bis hin zu prächtig gestalteten Werken zur Naturgeschichte. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Bücher aus und über Halle, einem der wichtigsten deutschen Verlagsstandorte im 18. Jahrhundert.

Fromm sein

Erbauliche Schriften stellten nächst der Bibel einen äußerst populären und weit verbreiteten Literaturzweig bis etwa zur Mitte des 18. Jahrhunderts dar. Sie begleiteten die christlichen Leser und Leserinnen ein Leben lang und prägten damit das fromme, sittliche Leben und die Glaubenshaltung zahlreicher Generationen. Auch wenn Erbauungsliteratur nie ganz aus der Mode kam, nimmt ihr Stellenwert im Vergleich zu den »neuen« Literaturgattungen, Zeitschriften, Romane oder Reiseliteratur, im Laufe des 18. Jahrhunderts ab. Das spiegelt sich auch im VD18-Katalog wider, in dem die Erbauungsliteratur nicht zu den zehn am häufigsten vorkommenden Gattungen zählt. Betrachtet man jedoch die Titel, die im Rahmen des VD18-Projekts für die Bibliothek der Franckeschen Stiftungen digitalisiert wurden, ergibt sich ein völlig anderes Bild: erbauliche Schriften, Predigten und Predigtsammlungen, Bibeln, Katechismen sowie Gebetbücher machen hier einen Großteil der digitalisierten Titel aus

Bogatzky, Carl Heinrich von: Güldnes Schatz-Kästlein der Kinder Gottes, deren Schatz im Himmel ist. Bestehend in auserlesenen Sprüchen der H. Schrift samt beygefügten Versen […].

Der aus Schlesien stammende Erbauungsschriftsteller Karl Heinrich von Bogatzky (1690–1774) galt schon zu seinen Lebzeiten als »der letzte Pietist aus alter Zeit« und führte von 1746 bis zu seinem Lebensende ein zurückgezogenes Leben in einer kleinen Wohnung in den Glauchaschen Anstalten. Berühmtheit erlangte sein »Güldenes Schatzkästlein der Kinder Gottes«, das im Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses in Spitzenzeiten fast jährlich neu aufgelegt wurde und zuletzt in 67. Auflage 1924 erschienen ist. Es enthält Bibelsprüche, denen jeweils Verse von Bogatzky beigefügt sind. Zur Popularität dieses Werks trug bei, dass es tatsächlich in der Größe eines »Kästleins« gebunden wurde.

12. Aufl. Halle: Waisenhaus, 1734
Halle, Bibliothek der Franckeschen Stiftungen: VERL:2575
13. Aufl. Halle: Waisenhaus, 1735
Halle, Bibliothek der Franckeschen Stiftungen: VERL:2688
Rostock, Universitätsbibliothek, VD18 12275743
16. Aufl. Halle: Waisenhaus, 1743
Halle, Bibliothek der Franckeschen Stiftungen: VERL:2574
17. Aufl. Halle: Waisenhaus, 1745
Halle, Bibliothek der Franckeschen Stiftungen: VERL:2843
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, VD18 13169963
https://digital.francke-halle.de/urn/urn:nbn:de:gbv:ha33-1-197499
19. Aufl. Halle: Waisenhaus, 1751
Halle, Bibliothek der Franckeschen Stiftungen: VERL:2573
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, VD18 13297708
https://digital.francke-halle.de/urn/urn:nbn:de:gbv:ha33-1-199521
20. Aufl. Halle: Waisenhaus, 1753
Halle, Bibliothek der Franckeschen Stiftungen: VERL:275 (20)
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, VD18 12853976
https://digital.francke-halle.de/urn/urn:nbn:de:gbv:ha33-1-200063

Henckel, Wenzel Ludwig von:
Schatz-Kästlein, bestehend in auserlesenen göttlichen Verheissungen, deren gläubiger Zueignung und beygefügten Reimen […].
Halle; Leipzig: Lüderwald, 1743
Halle, Bibliothek der Franckeschen Stiftungen: 21 F 21
Berlin, Staatliche Bibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, VD18 11726822
https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN870115898

Wissen

Im Laufe des 18. Jahrhunderts kam es in allen Wissensgebieten, aber vor allem auf dem Gebiet der Naturgeschichte, zu einer Zunahme des Wissens und der Kenntnisse. Die Beobachtung der Natur, naturkundliche Exkursionen und Entdeckungen, aber auch die Präparate in anatomischen und naturkundlichen Sammlungen führten dazu, dass Künstler lebensecht erscheinende Abbildungen herstellen konnten. Die Kupferstiche in oft umfangreichen, mehrbändigen Nachschlagewerken führten zu einer stärkeren Verbreitung und Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse im 18. Jahrhundert im Vergleich zu den vorhergehenden Jahrhunderten.

Volkamer, Johann Christoph: Nürnbergische Hesperides, Oder Gründliche Beschreibung der Edlen Citronat, Citronen, und Pomerantzen-Früchte […]. Hauptband, Teil 1–4.

Nürnberg: Endter, 1708.
Halle, Bibliothek der Franckeschen Stiftungen: 200 A 3
Erlangen-Nürnberg, Universitätsbibliothek, VD18 90437691
http://digital.bib-bvb.de/webclient/DeliveryManager?pid=9624938&custom_att_2=simple_viewer

Die Nürnbergische Hesperides von Johann Christoph Volkamer sind für gartenhistorisch Interessierte auch heute noch ein legendäres Buch, ein großer Schatz und ein optischer Hochgenuss. Einst bestaunte ich einen der 115 Kupferstiche ehrfürchtig in einer Ausstellungsvitrine, inzwischen durfte ich dieses Prachtwerk im Zuge meiner gartenhistorischen Forschungen vorsichtig in die Hand nehmen und durchsehen, was ich immer noch als Privileg empfinde.
Was beeindruckt mich an diesem Buch? Neben der Vielfalt der verschiedenen Zitrusgewächse, den Modepflanzen der barocken Gärten, sind es vor allem die wirklichkeitsnahen Abbildungen längst vergangener Gärten und Landschaften aus der Gegend um Nürnberg und Italien. Die detaillierte Darstellungsweise erlaubt es auch 300 Jahre später, gedanklich in diesen kunstvollen Gärten zu lustwandeln oder sich in einstige ländliche Idyllen hineinzuträumen.
Cornelia Jäger, Biologin und Umweltpädagogin

Lernen

ABC-Buch und Bibel vermittelten in der Frühen Neuzeit Kindern ein erstes Leseerlebnis. Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts kam es zu einer Zunahme und Differenzierung der Literatur für Kinder und Jugendliche von Erbauungsbüchern über Lehrbücher aller Unterrichtsfächer, Sitten- und Anstandslehren bis hin zu moralisch-unterhaltender Literatur. Zugleich entwickelte sich die Illustration zum zentralen Bestandteil dieser Literaturgattung, um Lerninhalte durch unmittelbare Anschauung plastisch zu vermitteln. Erst am Ende des 18. bzw. zu Beginn des 19. Jahrhunderts vollzog sich die Trennung von Schul- und Kinderbuch und entwickelte sich der für uns heute selbstverständlich erscheinende Literaturmarkt für Kinder und Jugendliche.

Campe, Joachim Heinrich: Robinson der Jüngere zur angenehmen und nüzlichen Unterhaltung für Kinder. Teil 1–2.

Hamburg: Verfasser; Bohn, 1780.
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: AB W 6123
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, VD18 90382838 (Teil 1); VD18 90382854 (Teil 2)
https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/urn/urn:nbn:de:gbv:3:1-658569
https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/urn/urn:nbn:de:gbv:3:1-658544

Auch wenn Joachim Heinrich Campe heute nur noch wenigen ein Begriff ist, ist er in der Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur ein Meilenstein und Robinson der Jüngere von 1779 sein erfolgreichstes Werk. In Campes Bearbeitung des Originals Robinson Crusoe (Defoe, 1719) konzentrierte er sich auf die Darstellung der Erlebnisse Robinsons auf der Insel und reduziert die Vor- und Nachgeschichte. Erzählerisch elegant und innovativ fügt er eine Rahmenhandlung ein, in der der Vater abends seinen Kindern von Robinsons Inselleben erzählt. Dabei schwingt ein sehr belehrender Ton mit und am Exempel von Robinson werden die Werte der Zeit festgemacht: Arbeitsethos, Vernunft, Tugendhaftigkeit und Triebkontrolle. Das Buch gilt als eines der erfolgreichsten Werke des 18. Jahrhunderts und erschien bis 1884 in 109 Auflagen.
Dr. Alexandra Ritter, Grundschuldidaktikerin für Deutsch

Bertuch, Friedrich Justin: Bilderbuch Für Kinder, enthaltend eine angenehme Sammlung von Thieren, Pflanzen, Blumen, Früchten, Mineralien, Trachten und allerhand andern unterrichtenden Gegenständen aus dem Reiche der Natur, der Künste und Wissenschaften[…]

Bd. 1.  Weimar: Verlag des Industrie-Comptoirs, 1792
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: AB WW 1785 (1)
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, VD18 90698134
https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd18/content/pageview/15283886
https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd18/content/pageview/15284208

Der Weimarer Verleger Friedrich Justin Bertuch (1747–1822) schuf mit dem »Bilderbuch für Kinder« ein enzyklopädisch angelegtes Sach- und Lehrbuch, das zwischen 1790 und 1830 in einer Auflage von 3.000 Stück herausgegeben wurde und insgesamt 1.185 kolorierte Bildtafeln mit rund 6.000 einzelnen Kupferstichen enthält. Diese anschaulichen, hochwertigen Bildtafeln trugen zum großen Erfolg dieses Buchprojekts bei. Das Bilderbuch sollte unterhaltsam Lerninhalte vermitteln, die Imagination der Kinder anregen und diese »amüsieren«.

Schöne Literatur

Im Laufe des 18. Jahrhunderts verdrängte die sogenannte schöne Literatur die theologischen und religiösen Schriften von der Spitze der Sachgebiete mit den meisten Neuerscheinungen pro Jahr auf dem deutschen Buchmarkt. Literarische Zeitschriften, das bürgerliche Trauerspiel und das Geschichtsdrama sowie ab ca. 1770 der Roman eroberten die Gunst des Lesepublikums. Die Bücher im handlichen Taschenbuchformat zirkulierten in Lesezirkeln und bürgerlichen Haushalten. Von den dazugehörigen Gattungen sind im Rahmen des VD18-Projektes in besonderem Maße Werke mit lyrischem Inhalt digitalisiert worden, wie auch das Diagramm zu den Gattungen im VD18-Katalog in Raum 4 veranschaulicht. In deutlich geringerem Umfang folgen Librettos, Romane, Dramen, Schauspiele und andere literarische Gattungen, die erst nach 1750 populär wurden.

Zeitschriften

Briefe, die neueste Litteratur betreffend. Hg. v. Gotthold Ephraim Lessing u. Moses Mendelssohn. Theil I. bis XXIV.

Berlin; Stettin: Nicolai, 1759-1766
Halle, Bibliothek der Franckeschen Stiftungen: 145 E 12a-f
Bielefeld, Universitätsbibliothek, VD18 90121694
http://ds.ub.uni-bielefeld.de/viewer/toc/1921386/0/LOG_0000/

Der Aufschwung der periodischen Presse in Form von Zeitungen, Zeitschriften und gelehrten Journalen stellt eine der zentralen buchtechnischen und literarischen Neuerungen des 18. Jahrhunderts dar. Die »Briefe, die neueste Literatur betreffend« waren eine literarische Wochenschrift, die auf eine Idee von Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) zurückging und in der in kritischer, pointierter und streitbarer Form Neuerscheinungen auf dem Literaturmarkt in Briefform vorgestellt und wesentliche Debatten der Literaturkritik und -theorie der Aufklärungszeit geführt wurden. Berühmtheit erlangte der von Lessing verfasste 17. Literaturbrief, der sich gegen die normative Poetik wandte und dem Geniekult des Sturm und Drang den Weg ebnete.

Lyrik

Karsch, Anna Luise: Auserlesene Gedichte.

Berlin: Winter, 1764.
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: Dd 2326 z
Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, VD18 11682493
https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN642842280

Der Band Auserlesene Gedichte von Anna Luise Karsch ist eine der bemerkenswertesten Publikationen einer schreibenden Frau im 18. Jahrhundert. Nicht nur wurde Karsch hierdurch einer breiten Leserschaft bekannt, sondern es wurde mit dieser Veröffentlichung der höchste Gewinn erzielt, der bis dahin auf dem literarischen Markt verzeichnet wurde. Die Einnahmen sicherten der Dichterin fortan den Lebensunterhalt, so dass Karsch als erste ›freie‹ deutsche Autorin bezeichnet werden kann.
Die Publikation macht aber auch die Zwänge deutlich, denen man ausgesetzt war, wenn man sich in Abhängigkeit von Gönnern begab: Neben neuen, kühnen Gedichten findet sich auch weniger überzeugende Gelegenheits- bzw. Huldigungsdichtung. Die Literaturkritik nahm die Auserlesenen Gedichte gespalten auf – in das Visier der Kritiker gerieten auch die Freunde der Karschin, die mit ihr »gleichsam manche Versuche angestellet« (Gleim an Uz) hatten. Anna Luise Karsch ist es gelungen, bis ans Ende ihres entbehrungsreichen Lebens als Dichterin in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden.
Dr. Ute Pott, Museumsdirektorin

Romane

Sterne, Laurence: The Life And Opinions Of Tristram Shandy, Gentleman. Volume 1–9.

Wien: Sammer, 1798.
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: AB S 975
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, VD 18 90702220 (Volume 1/2); VD 18 90702271 (Volume 3/4); VD 18 90702328 (Volume 5/6); VD 18 90702336 (Volume 7–9)
https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/urn/urn:nbn:de:gbv:3:1-823162
https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd18/content/titleinfo/15226919
https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd18/content/titleinfo/15226920

Schon das Erscheinen der ersten beiden Bände (von insgesamt neun) des Tristram Shandy von Laurence Sterne, der Pfarrer im nordenglischen York war, sorgte für einen handfesten Skandal. Das Buch ist voller Anzüglichkeiten. Es setzt sich über alle literarischen Regeln, die für einen Roman im 18. Jahrhundert galten, hinweg, was im Text vom Autor zusätzlich ironisch kommentiert wird. Statt einer stringenten Handlung springt das Geschehen wild von einer Zeitebene und einer Person zur nächsten, Kapitel werden ausgelassen und es gibt leere, schwarze sowie bunte Seiten (im dritten Band der Erstausgabe wurde ein marmoriertes Buntpapierblatt auf eine Seite geklebt). Damit nimmt das Buch viele spätere literarische Entwicklungen vorweg und wurde ein Riesenerfolg, sowohl in England als auch im restlichen Europa und darüber hinaus. Von Wieland über Nietzsche bis Arno Schmidt hat es im Laufe der Jahrhunderte viele Schriftsteller und Schriftstellerinnen beeinflusst und fasziniert bis heute seine Leserinnen und Leser.
Nils Wagner, Buchhändler

Dramen

Schiller, Friedrich: Dom Karlos. Infant von Spanien.

Leipzig: Göschen; Leipzig: Solbrig, 1787.
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: Goe 2718
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, VD18 11601515
https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/urn/urn:nbn:de:gbv:3:1-500360

Ich möchte als mein Meisterwerk Schillers Dom Carlos bezeichnen! Es ist eine Studie über Liebe und Sehnsucht nach gedanklicher Freiheit in einer gnadenlosen, absolutistischen Enge! Philipp II., der spanische König, steht für die Alleinvertretung der Macht und deren Durchsetzung durch Krieg und Terror! Ein erhebender Moment, wenn Marquise Posa, der Freund seines an den königlichen Vater ausgelieferten und hilflosen Sohnes Carlos, die fordernde Bitte erhebt: »Sir, geben Sie Gedankenfreiheit!« und dabei sein Leben riskiert, dann ist es für meine Begriffe künstlerischer Mut und leidenschaftlicher Wille des Autors und hatte einen großen und nachhaltigen Einfluss am Beginn des Sturm und Drang im Ausgang des 18. Jahrhunderts!
Matthias Brenner, Schauspieler, Regisseur, Intendant

Halle

Halle war am Ende des 18. Jahrhunderts der viertgrößte Verlagsstandort im Alten Reich. Aus diesem Grund, aber auch, weil diese Ausstellung das VD18-Projekt am Standort in Halle in den Blick nimmt und auf den Beständen der daran beteiligten Bibliotheken beruht, sind Verlagserzeugnisse aus Halle überproportional häufig in dieser Ausstellung vertreten.

Diagramm der hallischen Verlage mit der Anzahl ihrer im VD18 digitalisierten Titel
Den im VD18-Katalog gespeicherten Datensätzen kann entnommen werden, mit wie vielen Veröffentlichungen bestimmte Verlage im VD18 vertreten sind. Dieses Balkendiagramm zeigt die zehn in Halle ansässigen Verlage mit den am meisten im VD18 digitalisierten Titeln. Quellenbasis: Die Graphik bezieht sich auf die von Herrn Dr. Hartmut Beyer, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, bereitgestellten, aus 226.000 Titeleinträgen basierenden Daten im VD18-Katalog. Insgesamt konnten 9.259 Titeleinträge identifiziert werden, die im Zusammenhang mit dem hallischen Buchgewerbe stehen. Von diesen wiederum waren 4.406 für das Balkendiagramm relevant. Quelle: VD18-Katalog. Stand: 1. September 2021

Dreyhaupt, Johann Christian von: Pagus Neletici Et Nudzici, Oder Ausführliche diplomatisch-historische Beschreibung des [...] Saal-Creyses […]. Bd. 1.

Dreyhaupt, Johann Christian von: Pagus Neletici Et Nudzici, Oder Ausführliche diplomatisch-historische Beschreibung des zum ehemaligen Primat und Ertz-Stifft, nunmehr aber durch den westphälischen Friedens-Schluß secularisirten Hertzogthum Magdeburg gehörigen Saal-Creyses […]. Bd. 1.
Halle: Schneider, 1749
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: 15 WC 29 (1)
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, VD18 80294677
Aufgeschlagen: S. [1097]: Die Marktkirche zu Halle, Tab. IX
https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/urn/urn:nbn:de:gbv:3:1-476451

Oder: Kurz und fast ehrfurchtsvoll nur als »Der Dreyhaupt« bezeichnet, gilt das Hauptwerk des Verfassers als die maßgebliche Chronik für die Geschichte der Saalestadt. Für mich übten die beiden mächtigen zumeist in Leder gebundenen Folianten bereits als Schüler eine fast magische Anziehungskraft aus. In ihrer Zusammenstellung und fast erreichten Vollständigkeit bietet diese Chronik mir noch heute als Stadtarchivar einen schnellen Überblick über die Stadt- und Regionalgeschichte bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts.
Ralf Jacob, Stadtarchivar

Francke, August Hermann: Segens-volle Fußstapfen des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen Gottes […].

Francke, August Hermann: Segens-volle Fußstapfen des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen Gottes […]. Jetzo aber zum dritten mal ediret, und bis auf gegenwärtiges Jahr fortgesetzet.
Halle: Waisenhaus, 1709.
Halle, Bibliothek der Franckeschen Stiftungen: 99 H 23b
Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, VD18 9046673X
https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/urn/urn:nbn:de:gbv:3:1-706961

Der große Erfolg August Hermann Franckes und das weltweite Ansehen seines Werks beruhten ganz wesentlich auf seiner systematischen und sehr gekonnten publizistischen Arbeit. Davon zeugt auch und vor allem sein vielleicht prominentestes Buch Segens=volle Fußstapfen. Dabei handelt es sich, wie es der Titel im weiteren Verlauf benennt um eine Nachricht von dem Waysen=Hause und übrigen Anstalten zu Glaucha vor Halle, die 1701 erstmals erschien und in den Folgejahren mit Fortsetzungen wiederholt aufgelegt wurde. Die bekannteste und vollständigste Ausgabe stammt von 1709. Es handelt sich im Kern um eine Darstellung der frühen Anstaltsgeschichte, die jedoch nicht als chronikalischer Sachbericht daherkommt, sondern vielfältige publizistische Formate geschickt kombiniert und zu einem abwechslungsreichen Kaleidoskop verarbeitet. Die Schilderung der eigentlichen Aufbauarbeit, deren Ton Francke absichtsvoll sehr persönlich und subjektiv setzt, wird von wichtigen Dokumenten, wie der Glauchaschen Almosen=Ordnung und dem Gründungsprivileg, unterbrochen, aber auch von Bibelgeschichten, von anschaulichen Fallbeispielen und Einzelepisoden sowie von Briefauszügen und Spendenlisten. Die Nachricht geht auch ausführlich auf die zahlreichen Kritiker und deren Einwürfe ein. Wie ein roter Faden zieht sich die Grundbotschaft durch die Fußstapfen, dass dieses Werk allein der göttlichen Providenz zu verdanken sei.
Prof. Dr. Thomas Müller-Bahlke, Stiftungsdirektor

Fortschritt und Optimismus

Sinold von Schütz, Philipp Balthasar: Die glükseligste Insel auf der ganzen Welt, oder das Land der Zufriedenheit.

Dessen Regierungs-Art, Beschaffenheit, Fruchtbarkeit, Sitten der Einwohner, Religion, Kirchen-Verfassung, und dergleichen, samt der Gelegenheit wie solches Land entdecket worden, ausführlich erzehlet wird.
Nürnberg: Monath, 1749
Halle, Bibliothek der Franckeschen Stiftungen: 172 M 16
Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, VD18 10250891
https://gdz.sub.uni-goettingen.de/id/PPN629468435

Diese Inselutopie des Schriftstellers Sinold von Schütz (1657–1742) erschien erstmals anonym 1723 und belegt den Einfluss des Pietismus auf die Literatur. Christliche Werte und Tugenden bilden die Grundlagen einer funktionierenden Gesellschaft auf der Insel »der Zufriedenheit«. Dabei erinnert die Kirchenorganisation des Inselstaates an das Konventikelwesen Philipp Jakob Speners (1635–1705).   

Hayne, J. C. G: Versuch über die neuerfundene Luftmaschine

Hayne, J. C. G: Versuch über die neuerfundene Luftmaschine des Herrn von Montgolfier, besonders in wie fern solche in der Kriegskunst eine Aenderung machen, und einem Staate nüzlich und nachtheilig seyn könne […].
Berlin; Stettin: Nicolai, 1784
Halle, Bibliothek der Franckeschen Stiftungen: 162 F 31
Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, VD18 10612297
https://gdz.sub.uni-goettingen.de/id/PPN644258551

Im bemannten Ballon sahen die Zeitgenossen der Aufklärung eine Ikone der Freiheit und der menschlichen Erfindungskunst. In diesem Büchlein wird dessen möglicher Einsatz in der Kriegsführung erörtert. Dies war insofern prophetisch, als die französische Revolutionsarmee bereits 1793 die ersten Ballons zur Beobachtung des Feindes einsetzte.